Beispiel Das Erkennen des Kundenwunsches im Blumenfachgeschäft -
Eine mikroanalytische Fallstudie multimedialer Kommunikation zwischen Kunde und Floristin
  (S. Meyer)
   
Ein Beispiel für die mikroanalytische Untersuchung nonverbalen Verhaltens
 
Fragestellung:
Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit ist auf die Beobachtung und Darstellung nonverbalen Verhaltens während eines Verkaufsgespräches im Blumenfachgeschäft gerichtet. Ziel der Arbeit ist, den Einfluss des nonverbalen Verhaltens auf die Kundenwunscherkennung durch die Floristin zu ermitteln. Welche Rolle spielt nonverbales Verhalten bei der gemeinsamen Auswahl der Blumen von Floristin und Kunde?
 
Material:
Das Material für die vorliegende Arbeit ist die Video- und Tonbandaufzeichnung eines Verkaufsgespräches im Blumenfachgeschäft 'Wilheine' vom 23.03.1995. Personal und Betrieb sind mir persönlich bekannt. Nach kurzen Vorgesprächen, in denen ich Frau Wilheine mein Vorhaben erläuterte, war diese gerne zum "Mitspielen" bereit.
Die Videokamera (Panasonic) wurde in einem Regal im Schnittblumenbereich (SBB) des Verkaufsraumes in Augenhöhe plaziert
Nach Probeaufnahmen (der Aufnahmeradius sollte möglichst groß sein) 'lief' die Kamera etwa eine Stunde ohne Unterbrechung. (Man sollte für weitere Arbeiten unbedingt darauf achten, dass die Echtzeit des Videorekorders auf dem Filmmaterial eingeblendet ist. Die Zuordnung von Mikro- zu Makroanalyse ist dann einfacher und die Dynamik der Interaktion wird deutlicher.)
Die Kundschaft wurde bei Betreten des Geschäftes nicht auf die Videokamera hingewiesen. Auf diese Weise wollte ich 'künstliches' Verhalten aufgrund von Befangenheit oder gar völliges Ablehnen der Aufzeichnung vermeiden. KundInnen, mit denen ein Aufzeichnen des Verkaufsgespräches als 'geeignet' erschien, wurden im Nachhinein um Erlaubnis gebeten, die Aufnahmen zum Zweck einer Diplomarbeit benutzen zu dürfen. Die Frage stieß durchweg auf positive Resonanz. 'Geeignet' hieß in diesem Fall, dass sich ein Großteil des Gespräches im Aufnahmeradius der Kamera abgespielt hatte.

Anscheinend wurde die Kamera von der Kundschaft, falls überhaupt bemerkt, sofort als Überwachungskamera akzeptiert. In einigen anderen Sequenzen des Videos (nicht des untersuchten Gespräches) wird diese Annahme deutlich.
Ein Cassettenaufnahmegerät steckte in einer Kleidertasche von Frau Wilheine; an ihrem Kragen befand sich ein kleines Mikrofon. Das Gerät wurde auf mein Zeichen hin oder nach kurzer Absprache mit Frau Wilheine eingeschaltet. Kriterium für das Einschalten des Gerätes war, ob ein längeres Verkaufsgespräch zu erwarten sein und sich dieses Gespräch überwiegend im Winkel der Kamera abspielen würde (die Tonbandaufzeichnung sollte die Tonaufnahme der Videokamera ergänzen).

So schien mir z.B. der Kauf eines vorgefertigten Straußes als nicht geeignet, um nonverbale Verhaltensweisen und deren Einfluss auf das Verkaufsgespräch (insbesondere deren Einfluss auf die Kundenwunscherkennung) untersuchen zu können.
 
Untersuchungsverlauf:
Da die Auseinandersetzung mit dem visuellen Medium und die Analyse nonverbalen Verhaltens gleichermaßen 'Neuland' für mich bedeutete, habe ich die Analyseart, die zu beobachtenden Aspekte und das Notationssystem erst im Verlauf der Untersuchung festgelegt bzw. entwickelt.
 
Makroanalyse:
Dieser erste Abschnitt der Untersuchung muss als Einstieg in die Materie 'Beobachtung nonverbalen Verhaltens' verstanden werden. Ich habe zunächst das gesamte ausgewählte Verkaufsgespräch (Dauer 3,5 Minuten) betrachtet und 'grobe' Bewegungsabläufe (z.B. 'Kunde geht einen Schritt nach rechts' oder 'Floristin wendet sich dem Kunden zu') und Blickrichtungen der Floristin und des Kunden beschrieben. Dabei dienten die verbalen Äußerungen einer Person bis zum jeweiligen Sprecherwechsel als zeitliche Einheit für die Beschreibung ihrer gleichzeitig erfolgenden Bewegungsabläufe.

Auf diese Weise ergibt sich beispielsweise folgende Zuordnung verbaler und nonverbaler Äußerungen: Während Frau Wilheine fragt: "Schönen Blumenstrauß, was Frühlingshaftes?" wechselt ihre Blickrichtung zwischen dem Kunden und den Blumen; der Kunde schaut derweil in Richtung Blumen (SBB).
Ergänzend habe ich die Transkription des Gespräches in verschiedene Phasen (z.B. Begrüßung, Wunschermittlung, Präsentation der Ware) eingeteilt.

Durch die Beschreibung von Bewegungen und Blickrichtungen wollte ich eine Zuordnung typischer, körpersprachlicher Äußerungen zu diesen Phasen vornehmen (z.B. dass in der Präsentationsphase der Blick der Floristin überwiegend auf die Ware gerichtet ist).
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Untersuchung wurde mir deutlich, dass ein verlangsamtes Abspielen des Videos für weiteres Vorgehen notwendig sein würde. Selbst bei diesen relativ 'groben' Beschreibungen der Bewegungsabläufe war die 'Informationsmenge pro Zeit' zu groß (zu viele Bewegungen innerhalb weniger Sekunden!), um mit bloßem Auge genau erkannt und anschließend festgehalten werden zu können.
Aus dieser Tatsache sind zum einen die Aspekte (einzelne Bewegungen bzw. bestimmtes nonverbales Verhalten) hervorgegangen, die ich beobachten wollte. Eine Einschränkung ihrer Anzahl erschien mir dringend notwendig, um nicht in einer Flut von zu beschreibenden nonverbalen Verhaltensweisen zu 'ertrinken'.
Zum anderen hat sich daraus die Analyseart ergeben, die mir zur Beschreibung dieser Aspekte vorteilhaft erschien. Mit Hilfe von Zeitlupe und Einzelbildbetrachtung hatte ich die Möglichkeit, auch kleinste Sequenzen des Materials genau zu analysieren.
Bei der Auswahl der Aspekte habe ich mich für Schrittfolge, Blick- und Körperorientierung entschieden. Es ist mir bewusst, dass durch diese getroffene Auswahl eine Vielzahl nonverbaler Äußerungen der untersuchten Interaktion unbeachtet bleiben würden.
Diese von mir in zweifacher Hinsicht vorgenommene Einschränkung (sowohl zeitlich als auch bezüglich der beobachteten Körperregionen) bezeichne ich als Beginn derMikroanalyse.

 
Mikroanalyse (1. Phase)
Dieser Untersuchungsphase lag die Idee zugrunde, die einzelnen Aspekte möglichst genau zu beobachten und anschließend abzubilden. Mein Ziel war es, die Schrittfolge, die Bewegung bzw. Stellung des Oberkörpers und des Kopfes (und damit die Blickrichtung) der Personen kodiert in einer Abbildung wiederzugeben. Mit dieser Beschreibung und Abbildung wollte ich ursprünglich eine möglichst präzise Notation der untersuchten Interaktion erreichen.
Folgende Fragen standen im Mittelpunkt meiner Untersuchung:
### Verlaufen die drei Aspekte bei einer Person immer gleichzeitig? (Synchronität der Fuss-, Körper- und Kopfbewegung)
### Gibt es Beziehungen zwischen dem nonverbalen Verhalten Frau Wilheines und des Kunden ?
### Berücksichtigt Frau Wilheine bei ihrer 'Informationssuche' für die Kundenwunscherkennung auch nonverbale 'Hinweise'? Lässt sie sich von der Blickorientierung des Kunden 'führen'? Welchen Einfluss hat ein solches "leading" auf die Erkennung des Wunsches?
### Welche der beobachteten Verhaltensweisen ist im Sinne des "NLP" 'führend'?
### Könnte es sein, dass die Körperorientierung denselben 'führenden' Einfluss auf Frau Wilheine hat wie die angenommene Blickorientierung?
 
Um diesen Fragen nachzugehen, habe ich aus dem Video Sequenzen herausgesucht, von denen ich die Vermutung hatte, dass sie mir bei genauerer Untersuchung Antworten auf die oben gestellten Fragen liefern würden. Insgesamt vier Sequenzen (Szenen) dieser Art mit einer Länge von 11 - 24 Sekunden schienen mir zur eingehenden Analyse geeignet.
Im Anschluss an die graphische Darstellung der einzelnen Szenen sowie der Zuordnung der verbalen Äußerungen bin ich den o.g. Fragen unter Berücksichtigung der Notation explizit nachgegangen.
   
Abb.: Ausschnitt aus der Kodierung des Kundengespräches
   
Im Anschluss an die graphische Darstellung der einzelnen Szenen sowie der Zuordnung der verbalen Äußerungen bin ich den o.g. Fragen unter Berücksichtigung der Notation explizit nachgegangen.
   
Ergebnisse:
   
Mikroanalyse
Obiger Gesprächsausschnitt stellt eine ganz erstaunliche Szene dar, die eindeutig ein 'Leading' durch die Blickorientierung des Kunden zeigt:. Beide, Kunde und Floristin, schauen auf die "rosige Ecke". Frau Wilheines verbale Äußerungen beziehen sich ebenfalls auf die in diesem Moment betrachteten Blumen ("Woll'n wa 'n bisschen was Rosiges machen?");. Der Kunde wendet dann jedoch seinen Kopf zu den "kräftigen" Farben. Frau Wilheine blickt ihn kurz an, um sich dann den "kräftigen Farben" zuzuwenden und ihn zu fragen: "Oder lieber was mit kräftigen Farben?" Zusätzlich unterstreicht sie ihre Worte mit einer Handbewegung, indem sie auf die angesprochenen Blumen deutet.
Frau Wilheine führte den Kunden genau zu dem Geschäftsbereich, wohin dieser zuvor geschaut hatte. Diese Beobachtung gab mir Grund zu der Annahme, dass die Blickorientierung des Kunden eine leitende Funktion auf Frau Wilheine ausübt. Als 'leitend' ist die Blickorientierung des Kunden m. E. insofern einzuschätzen, als dass Frau Wilheine der Orientierung seiner Fussstellung oder seines Körpers keine Beachtung schenkt.

1. Die Bewegungen des Kopfes (und damit die Blickorientierung) einer Person gehen Bewegungen des Körpers häufig voraus
2. Die Blickorientierung des Kunden hat großen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Gespräches, sie ist ein leitendes Element im Sinne des 'leading'.
 
Für eine Verdeutlichung des gefundenen "leadings" habe ich eine Tabelle erstellt.
 
Ein "leading" durch Blickorientierung stellt sich anhand dieser Symbole z.B. folgendermaßen dar:

 

 

 
Darüber hinaus bin ich bei dem Vergleich der Schrittfolgen Frau Wilheines und des Kunden zu einem überraschenden Ergebnis gekommen:
kurz nach der Begrüßung, noch während des Aufeinanderzugehens gleicht die Abfolge der Schritte jener einer Tanzanleitung (Abb.).
Frau Wilheine und der Kunde gehen zunächst in synchroner Schrittfolge aufeinander zu bis sie sich in einem Abstand von ungefähr 80 cm gegenüberstehen. Kurz darauf führen sie eine Bewegung aus, die einer Drehfigur beim Tanzen gleicht. Achtet man zudem auf die Blickorientierung, so wird deutlich, dass diese Drehbewegung (beide Personen drehen ihre Körper) durch den Blick des Kunden 'initiiert' wird. Der Kunde dreht zuerst den Kopf, dann den Körper in die 'anvisierte' Richtung. Beide Personen beginnen jetzt, in die Schnittblumenecke zu gehen. Bereits hier wird deutlich, dass die beobachteten drei Aspekte (Blick- und Körperorientierung, Schrittfolge) bei einer Person nicht zwangsläufig gleichzeitig verlaufen.
 
Abb.: Schrittfolge von Kundin und Floristin bei der Begrüßung
 
Makroanalyse
### Frau Wilheines Blick ist wesentlich öfter auf den Kunden gerichtet als dessen Blick auf sie. Der Kunde schaut Frau Wilheine lediglich während zwei kurzer Momente ins Gesicht.
### In der Präsentationsphase wechselt der Blick von Frau Wilheine häufig zwischen den Blumen und dem Kunden.
### Die Körperorientierung Frau Wilheines deutet häufiger in Richtung des Kunden, als dessen Körperorientierung zu ihr.
### Eine Szene erscheint "krisenhaft" (vgl. GIESECKE, 1988) (Kunde und Frau Wilheine stehen im SBB. Dann wendet sich der Kunde von Frau Wilheine ab und verlässt den Schnittblumenbereich. Frau Wilheine bleibt im SBB stehen.).
 

 
Zusammenfassung: Kategorien zur Beobachtung und Beschreibung nonverbalen Verhaltens - Ausdrucksmedien des Menschen



 

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