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Leitbilder zeitgemäßer face- to- face- Kommunikation: dialogue vision |
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"Der Dialog gilt gegenwärtig als eine "der
Erfolg versprechendsten Methoden eine erstarrte, verkrustete Gesellschaft
und deren Institutionen wieder in Bewegung zu bringen"[1].
Nachdem viele Hoffnung, die sich an die Einführung
elektronischer Rechner und technischer Netze knüpften, wie Seifenblasen
zerplatzt sind, kommt die Vision des Dialogs gerade recht. Er empfiehlt
sich als Übergangsobjekt auf dem Weg in eine unbekannte, aber jedenfalls
riskante Zukunft. Wie die Übergangsobjekte in den Ablösephasen
der kindlichen Entwicklung, so sollten auch kulturelle Übergangsobjekte
einerseits bekannt und bewährt sein, zugleich aber sollten sie auch
Wege in die Zukunft weisen und dorthin mitgenommen werden können. Wir
kennen die Gruppengespräche und viele Elemente des Dialogs aus unserem
Alltag, wir wissen, dass die Gespräche von Angesicht zu Angesicht auch
für die Zukunft so wichtig wie die natürlichen Ressourcen bleiben
werden. Und wir erkennen im langfristigen Entwicklungsgang unserer Kultur
eine Logik, zumindest die Tendenz einer wachsenden Bedeutung rückkopplungsintensiver
multimedialer Kommunikationsformen. Das dialogische Gespräch erfüllt
alle im Augenblick absehbaren Voraussetzungen für ein zentrales Kommunikationsmedium
der zukünftigen Informationskultur.
An der Bedeutung des Gesprächs als Ursituation der
kulturellen Synthesis waren schwerlich jemals Zweifel angebracht. Und
so kennen wir aus der Philosophie und Politik aus praktisch allen Epochen
Loblieder auf den zwischenmenschlichen Kontakt von Angesicht zu Angesicht.
Wenn der Eindruck allerdings nicht trügt, dann langt es an der Jahrtausendwende
nicht, diese alten Lieder weiter zu singen. Zumindest einige Formen des
Gesprächs verlangen nach einer Professionalisierung und nach gezielter
gesellschaftlicher Förderung, wie sie bislang eher den technischen
Formen der Informationsverarbeitung (Schreiben, Lesen, Rechnen) vorbehalten
waren. Es geht nicht um die Bedeutung des Gesprächs, sondern um eine
andere Stufe seiner kulturellen Notwendigkeit. Es geht um eine grundlegende
Verschiebung in der Gewichtung der kulturellen Kommunikationsformen. Die
Zeit für Erfindungen, für professionelle Programme, auf dem
Gebiet der dialogische Informationsverarbeitung in Gruppen scheint überreif.
Für die aktuelle Notwendigkeit solcher Erfindungen haben Praktiker
und Theoretiker in den letzten 20 Jahren verschiedene Begründungen
geliefert.
Anthony Giddens sieht aus vielerlei Gründen
ein Ende der Kriegergesellschaft' und ihrer Streitkultur und hofft
an deren Stelle auf eine neue Gesprächskultur. Gelassenheit'
statt Kampf um die eigenen Überzeugungen, Ermittlung von Gemeinsamkeiten,
die dem Überleben der Menschheit helfen, statt diskursiver Klärung
der Difference à la Lyotard. Dahinter steht die Ernüchterung
über die Leistungen der Aufklärung, das Misstrauen gegenüber
der Macht von Sprache und Vernunft[2].
Vor allem aber geht es um die Ausdehnung des Wir', um die Suche
nach Wegen, die Mankind vision zu verwirklichen[3]."
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aus: Michael Giesecke: Von den Mythen der Buchkultur
zu den Visionen der Informationsgesellschaft. Suhrkamp- Verlag, Frankfurt
a.M. 2002 [1] So Farah Lenser und Heiner Benking: Gesprächskulturen und runde Tische, vgl. http://www.ceptualinstitute.com/genre/benking/dialogue-culture.htm und http://newciv.org/cob/members/voicetext.htm , Von diesen Adressen aus mag der Spaziergang in die Welt des netzgestützten Dialogs beginnen. [2] Anthony Giddens: Konsequenzen der Moderne, Frankfurt 1995, S. 149 [3] Hierzu empfiehlt etwa auch Richard Rorty in seinen verschiedenen Werken (Kontingenz, Ironie und Solidarität. Frankfurt 1989; Der Spiegel der Natur: Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt 1981) das Gespräch'. |