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Tanzsupervision- Die Selbsterkundung des modernen Tanzes |
veröffentlicht in: Gabriele Klein/ Christa Zipprich (Hrsg.): tanz-theorie-text (Jahrbuch für Tanzforschung 12) Münster 2002, S.413-428 |
Vorgeschichte und Geschichte des Projekts |
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Die Leitung der Internationalen
Tanzwochen Wien' und der Wiener Festwochen' hatten mich zur wissenschaftlichen
Begleitung der Inszenierung und der Aufführung des Stücks Back
to return' des österreichischen Choreographen Willi Dorner im Rahmen
des Projekts "Tanz 2000.at" im letzten Jahr nach Wien eingeladen.
Die Einladung kam auf Initiative von Willi Dorner zustande, früher
selbst Tänzer und jetzt Leiter einer eigenen, international erfolgreichen
Tanzkompanie. Seine Motive waren sowohl erkenntnistheoretischer Natur- "Was
brauchen wir für Wahrnehmungstheorien, wenn wir den modernen Tanz verstehen
wollen?"(1)
als auch inszenatorisch praktischer Natur: "Es gilt im Tanz wieder die Bewegungssprache und die Form der Inszenierung aufzubrechen, neue Inhalte zu finden ... Ich suche dafür keine Dramaturgen, die choreographisch oder inszenatorisch denken, sondern genau das Gegenteil: der andere' Blick, das andere' Denken," so sein Kommentar. Ich selbst habe mich als Kommunikations- und Medienwissenschaftler lange experimentell und theoretisch mit den Möglichkeiten einer solchen synästhetischen Epistemologie beschäftigt. Ich habe andererseits Erfahrungen in der supervisorischen Beratung, der Gruppendynamik und in Kommunikationstrainings. Die für die Aufführung vorgesehenen TänzerInnen: Milli Bitterli, Helga Gußner, Saskia Hölbling und Dolores Hulan waren gern bereit, an diesem transprofessionellen- und in vielerlei Hinsicht auch transkulturellen Projekt- mitzuwirken. Ihnen sei schon vorab und nochmals für ihr Einverständnis gedankt, hier Videos aus den Proben, der Supervision und der Aufführung zu zeigen. Das gleiche gilt natürlich für Willi Dorner, Norbert Pfaffenbichler, mit dem ich in Wien Videos zusammengeschnitten habe, Heinz Ditsch, Simon Kürmayr und andere. |
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Ziele des Projekts |
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Es ist klar, dass die Zusammenarbeit für die Beteiligten
unterschiedliche Bedürfnisse befriedigte, für die Tänzer
andere als für den Choreographen und für beide andere als für
mich als Medienwissenschaftler. Andererseits gab es erstaunlich viele
Konvergenzen. Ich schildere die Ziele und den Ablauf im folgenden aus
meiner Sicht. Als zentrale Fragestellungen kristallisierten sich recht
bald im Verlauf der Zusammenarbeit heraus: |
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Wie speichern die TänzerInnen, in welchen Körperteilen ihre (welche?) Bewegungen? (Tänzer als komplexe informationsverarbeitende Systeme.) |
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Wie orientieren sich die TänzerInnen während der Performance? Zeit, Musik, Raum, Körper (Vernetzungen) |
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Wie stellt sich Nähe/Distanz/Resonanz
zwischen den TänzerInnen und mir/dem Publikum her und in welchen Teilen
des Körpers? (Spiegelungen) |
Bei bloßer Reflexion, auf die sich üblicherweise
wissenschaftliche Projekte beschränken, konnte in Wien nicht stehen
geblieben werden. Es ging darum, eine Aufführung im Rahmen der Wiener
Festwochen zu gestalten. Also sollten die Ergebnisse auch tänzerisch
mit anderen künstlerischen Mitteln ausgedrückt werden. Auf besonderen
Wunsch der Festspielleitung, also von Hortensia Völckers und Karl Regensburger,
sollte auch das Publikum mit einbezogen werden - und zwar nicht in der herkömmlichen
Form einer Befragung der Akteure und Choreographen durch das Publikum. Alles in allem war damit ein dreiphasiger Ablauf des Experiments vorgezeichnet: |
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Während der Proben moderierte Selbsterkundungen der TänzerInnen und der Glaubenssätze des Choreographen (Supervision). |
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Performance und Selbsterkundung des Publikums |
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Verarbeitung der Selbsterfahrungen und Rückkopplungen durch Künstler und Choreographen, Vervollständigung und weitere Auswertung des Datenmaterials, Überprüfung der Hypothesen durch die Wissenschaftler. |
Ablauf des Projekts |
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Proben mit teilnehmender Beobachtung
und Diskussion; auf Video aufgezeichnet Mikroanalyse der Videos, Transkription wichtiger Diskussionsteile |
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Rückkopplung ausgewählter Videoausschnitte an die einzelnen TänzerInnen |
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Triangulation und Supervision, ebenfalls auf Video aufgezeichnet und verschriftet |
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weitere Arbeit an der Choreographie, Proben... Zugleich: Auswertung des Datenmaterials unter den zentralen Fragestellungen des Projekts: Wie speichern die TänzerInnen, in welchen Körperteilen ihre (welche?) Bewegungen? (Tänzer als komplexe informationsverarbeitende Systeme.) Wie orientieren sich die TänzerInnen während der Performance? Zeit, Musik, Raum, Körper (Vernetzungen) Wie stellt sich Nähe/ Distanz/ Resonanz den TänzerInnen und mir/dem Publikum her und in welchen Teilen des Körpers? (Spiegelungen) |
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Triangulation: Rückkopplung der Antworten an TänzerInnen und an den Choreographen. Zusammenschnitt eines Videos mit paradigmatischen Antworten auf diese Fragen. |
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Aufführung mit Videodemonstrationen und im Anschluss Rückkopplungsgespräche in Form einer Balintgruppe mit Teilen des Publikums. Auch diese Gruppengespräche im Stuhlkreis wurden aufgezeichnet und verschriftet. |
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Rückkopplung der Wahrnehmungen der Aufführung/TänzerInnen durch das Publikum an die Beteiligten |
Methoden Zur Erhebung der latenten Selbstbilder und des Gedächtnisses der TänzerInnen werden vor allem die psychoanalytisch orientierte Supervision und das triangulative Verfahren, also Methoden, die aus der Beratung bekannt sind, benutzt. Soweit mir bekannt, ist der Einsatz in dieser Form- als Kunstsupervision- bislang noch nicht erprobt . Was sind Standards effektiver und qualifizierter Supervision?(2) Ausführlicher: Dies: Supervision, Gruppen- und Teamsupervision in Theorie und Praxis.(3) Das Gespräch mit dem Publikum sollte ursprünglich in Form einer Open- Space- Konferenz stattfinden, was aber aus allerlei räumlichen und organisatorischen Restriktionen beim ersten Anlauf in Wien noch nicht gelang. Vgl. zum Beispiel Harrision Owen.(4) Wir haben uns dann für eine Form themenbezogener Selbsterfahrung entschieden, die durch ihre Vorbereitung und den Einbau in das Forschungsprojekt große Ähnlichkeit mit dem training-cum-research - Gruppen von Michael Balint erhalten hat.(5) Instruktion für das Publikumsgespräch Das Publikumsgespräch wurde nach einer kurzen Schilderung
des Projekts durch mich im unmittelbaren Anschluss an die Aufführung
wie folgt eingeleitet: Das Gespräch kann für sie die Funktion
haben, sich darüber klar zu werden, was sie heute Abend erlebt haben
(Selbstreflexion), zweitens können sie kennen lernen, was andere
wahrgenommen haben und drittens schließlich werden sich die TänzerInnen
und Willi Dorner unser Gespräch anhören. Sie sind dankbar für
Ihr Feedback." |
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1) Zitat
Willi Dorner 2) Download unter www.rappe-giesecke.de (Publikationen) 3) Berlin/Heidelberg/New York 1994 4) Harrison Owen: "Open Space Technology" ein Leitfaden für die Praxis, Stuttgart 2000. Roswitha Königwieser/Marion Keil (Hg.) : "Das Feuer großer Gruppen", Praxisbeispiele für Großveran-staltungen, Stuttgart 2000. Carole Malhe: " Open Space: Effektiv arbeiten mit großen Gruppen", Weinheim/Basel 2001 5) Michael Balinat: "Die Struktur der Training-cum-research - Gruppen und deren Auswirkung auf die Medizin", in: "Jahrbuch für Psychoanalyse"[5], 1968, Seite 125-146, Zusammenfassend und einführend Kornelia Rappe-Giesecke: "Gruppen-supervision Balintgruppenarbeit", in: Harald Pühl (Hg): Handbuch der Supervision, Berlin 1994, Seiten 72 bis 84 6) Michael Giesecke: "Supervision von Selbsterfahrung und distanzierter Betrachtung in Beratung und Wissenschaft", Frankfurt am Main 1997 7) Michael Giesecke, vgl. als kurze Zusammenfassung das Kapitel 1 in:" Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft", Frankfurt am Main (im Druck) sowie die zugehörige Webseite www.mythen-der-buchkultur.de, Modul 01 8) Michael Giesecke/Kornelia Rappe-Giesecke: "Supervision als Medium kommunikativer Sozialforschung", Anwendungsbeispiele und Erläuterungen, Frankfurt am Main 1997, Seite 599 ff, vgl. Seite 541 ff, 217 und 120 |