‘Ästhetische Information’ (A. Moles)
   
  Aus: Abraham A. Moles: Informationstheorie und ästhetische Wahrnehmung. Köln, 1971.
 
S. 171
„…Ästhetische Information hat zum Unterschied zu semantischer nicht das Ziel, Entscheidungen vorzubereiten, sie hat kein Ziel im eigentlichen Sinne, Intentionalität gehört nicht zu ihrem Wesen, sie löst effektiv innere Zustände aus, und nur deren Auswirkungen können – wenigstens in typischen Fällen – von Psycho-Ästhetikern oder sogar Psychophysiologen objektiv festgestellt werden (ästhetische Ergriffenheit, physiologische Arbeiten über Musikempfinden usw.). Sie hat also keinerlei Nützlichkeitscharakter; »Art is quite useless« sagt WILDE, doch wäre es einseitig, ästhetische Information auf Kunst im eigentlichen Sinne zu beschränken. Wenn sie Reaktionen herbeiführt, sind diese weder unmittelbar noch notwendig. Ästhetische Information ist kanal-spezifisch, sie wird durch einen Wechsel des Kanals stark verändert. …“
 
„…Genauer als mit Hilfe der eben angewendeten Konvergenzmethode, kann man die ästhetische Information durch Gegenüberstellung mit der semantischen charakterisieren. …“
 
S. 173
„…Nachrichten mit rein semantischem oder rein ästhetischem Inhalt sind nur Grenzfälle, dialektische Pole. Jede reale Nachricht enthält immer das eine und das andere in einem bestimmten Mischungsverhältnis. Während die semantische Information sich an universale Aspekte der geistigen Struktur des Individuums wendet und sich deshalb recht leicht objektiv messen und bestimmen lässt, ist die ästhetische Information dagegen aleatorisch und spezifisch für den Empfänger, da sie entsprechend seinem Besitz an Kenntnissen, Zeichen und Strukturierungen
a priori variiert; sie ist sehr wenig erforscht und schwierig zu messen. …“
 
S. 174
„ In einem Theaterstück gehören Inhalt, Handlung und Fabel zur semantischen Information, desgleichen grammatische Strukturen und logische Implikationen. Das Spiel der Darsteller, die Wärme ihrer Stimme, Ausdruck und Reichtum der Regie gehören zur ästhetischen Information. Offenbar sucht der Hörer gerade sie im Schauspiel, eher als etwa die ‘Geschichte’ eines Wilhelm Tell. …“
 
S. 251-252
„…Aber beim Abschluss dieser Arbeit über die Anwendung der Informationstheorie auf die Wahrnehmung müssen wir uns darüber klar sein, dass das Kunstwerk nur ein typischer, leicht zu definierender Fall des Zyklus Wahrnehmung-Reaktion ist, der das Hauptproblem der experimentellen Psychologie darstellt, ein Fall, in dem die Wahrnehmung im engeren Sinne den Vorrang hat und sich objektiver manifestiert als die Reaktion. In diesem Sinne ist sie einfacher und zugänglicher, aber der ursprüngliche Sinn des Wortes ‘Ästhetik’ geht weit über das Problem der Kunst hinaus. ‘Ästhetik’ im weiteren Sinne ist Untersuchung der Art und Weise, wie die Umwelt empfunden wird, der Position des Individuums in dieser Umwelt; deshalb müsste unsere Darstellung der Dialektik Originalität/Verständlichkeit normalerweise im größeren Rahmen der Beziehungen des menschlichen Wesens zur Welt gesehen werden, im Rahmen der Phänomenologie der Wahrnehmung; sie ist in der Praxis infolge der individuellen Gesichtspunkte, die die Aufmerksamkeit beherrschen und das allgemeine Problem verdunkeln, fluktuierender, subjektiver und komplizierter. Daher halten wir diese Studie über die Wahrnehmung vorläufig im Rahmen der wissenschaftlichen Ästhetik, der künstlerischen Nachricht. …“