Materialität der Kommunikation (A. Moles)

   
  Aus: Abraham A. Moles: Informationstheorie und ästhetische Wahrnehmung. Köln, 1971. (zuerst franz. 1958)
 
S. 254-255
„…Der charakteristische Standpunkt dieser Arbeit, der der Materialität der Kommunikation, kann nur exakt beurteilt werden, wenn man die historischen Umstände in Betracht zieht, aus denen er hervorgegangen ist. Wenn das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, hauptsächlich seine Fähigkeit ist, sich mit seinesgleichen weitgehend zu verständigen, darf man sicherlich sagen, dass das, was den modernen Menschen kennzeichnet, der Gebrauch künstlicher Kommunikationskanäle ist. Gewiss datieren Schrift und optische oder akustische Telegraphie, die zu den elementarsten künstlichen Kanälen gehören, aus einer relativ zurückliegenden Zeit der Zivilisationsgeschichte. Aber das Bewusstsein der Materialität der Information ist außerordentlich jung. Vor noch nicht sehr langer Zeit stand der ideelle Aspekt der zwischenmenschlichen Nachrichten so evident im Vordergrund, dass der materielle Aspekt im Schatten blieb. Die Ideen, die man ‘übermittelte’, ließen die Übermittlung selbst vergessen. Für PLATON. BACON oder SPINOZA war die Materialität des Geschriebenen nur eine Nebensächlichkeit, von der man den Gedanken geradezu befreien musste, und der Mythos von den gefrorenen Worten im dritten Buch des Pantagruel war nur eine amüsante Erzählung ohne philosophische Bedeutung. Unter den alten Kulturen näherten sich nur die chinesische und die hebräische auf halb mystischem Wege der Vorstellung von der Materialität des Geschriebenen als wesentlichem Wert. Die Chinesen betrachteten es lange als Sakrileg, irgendetwas Geschriebenes zu zerstören, selbst wenn es ohne jedes Interesse war, und die Juden bauten auf der Achtung vor dem ‘Buch’ (der Thora) ein subtiles Geflecht logischer und theologischer Doktrin auf. Erst mit der technischen Erfindung des Buchdrucks wird die Materialität des Geschriebenen ganz offenbar, die Achtung wird als Wert abgebaut und ein ökonomischer Wert, der immer weiter zunimmt, tritt an die Stelle. Die Vermehrung der Quantität der Zeichen musste den konkreten Charakter ihrer Existenz unabhängig von ihrem ideellen Wert sichtbar machen, wie groß auch immer ihre Wertminderung infolge ihrer Vervielfältigung sein mochte.
Erst mit der Erfindung der übrigen Kommunikationskanäle, mit Telefon, Radio, Aufzeichnung von Ton, Bild und Bewegung – wieder einmal war der homo faber dem homo sapiens voraus – bemerkte man, dass diese Materialität etwas war, was über Papiergewicht und Anzahl der Telefonkabel hinausging, nämlich das Zeichen; man begriff die Existenz der Materialität jeglicher Kommunikation. Die ‘Idealität’ der Kommunikation wurde also in der begrifflichen Darstellung durch das Hinzukommen der Materialität in ihrer Bedeutung eingeschränkt.
Während die Untersuchung der Materialität im Zeitalter des ERASMUS einer geistigen Anstrengung bedurft hätte, die als Spitzfindigkeit hätte gelten können, setzt sie sich im Zeitalter der Zeitung, des Rundfunks, der Schallplatte und des Films pragmatisch durch;

 

vor Erfindung der künstlichen Kommunikationskanäle:


nach Erfindung der künstlichen Kommunikationskanäle:

 

Von jetzt ab gibt es in der modernen Welt eine ganze Kategorie von Individuen, die mit den materiellen Ideenträgern umgehen: nicht mehr allein Drucker, Buchhändler, Boten und Fernsprechbeamte, sondern Nachrichteningenieure. Für sie geht durch Telefondrähte, Leitungen und Verstärker das Träger-Signal von Ideen, die sie nicht kennen und um die sie sich nicht kümmern; aber sie müssen sich mit Problemen der Überlastung von Wellenlängen, der Auslastung von Fernsprechnetzen auseinandersetzen oder noch konkreter mit den Gebühren für Telegramme; für sie wird der quantitative Aspekt der Information selbstverständlich. …“