Aufsatz Funktionen der Informationsverarbeitung
   
Im Alltag werden verschiedene Funktionen kommunikativer Informationsverarbeitung unterschieden. 'Beschreiben', 'Berichten', 'Argumentieren' und 'Erzählen' sind solche unterschiedlichen Formen. Wenn man nun in normativer Absicht Modelle dieser unterschiedlichen Systeme entwickeln will, dann empfiehlt es sich, von den jeweils ausdifferenziertesten Exemplaren auszugehen. (Vertreter des NLP würden von 'master modelling' sprechen.) Dieses ist beim Beschreiben die wissenschaftliche Beschreibung, beim Berichten der institutionell obligatorische Bericht (z.B. der 'Krankenbericht' oder ein 'Unfallbericht' der Polizei), beim Erzählen die Wiedergabe einer selbsterlebten Geschichte in therapeutischen Kontexten, beim Argumentieren die geregelte politische oder wissenschaftliche Argumentation.
Diese Festlegung hängt selbstverständlich von den eigenen Untersuchungsinteressen ab und sie fällt deshalb auch bei den verschiedenen Autoren unterschiedlich aus. Immerhin lassen sich einige allgemeine Begründungen für diese Bildung von Idealtypen angeben.
Zunächst liegt auf der Hand, daß in der alltäglichen Praxis die Kommunikationsformen häufig ineinander übergehen. Gerade um diesem alltäglichen Mischmasch entgegen zu arbeiten, ist eine Isolierung der einzelnen Formen sinnvoll. Dies gilt insbesondere auch für das 'Erzählen'. Schon die Umgangssprache geht von einer engeren und einer weiteren Bedeutung aus. In der weiteren Bedeutung bezeichnet man als 'Erzählen' viele Arten von längeren sprachlichen Darstellungen von selbsterlebten Erfahrungen. Man kann nach einem Unfall einen Beteiligten fragen: 'Erzähl doch mal, was passiert ist!' und erwartet dann vielleicht einen nüchternen Bericht. Man fordert auf: 'Erzähl doch mal, was du gesehen hast!' und erwartet eine Beschreibung oder man fordert heraus: 'Erzähl doch mal, wie du das siehst!' und betrachtet dies schon als einen Einstieg in eine längere Argumentation.
Diese weite Verwendungsweise hat ihre historischen und logischen Gründe: Eine vollständige Erzählung scheint tatsächlich immer auch beschreibende, berichtende und argumentierende, z.B. rechtfertigende Elemente enthalten zu können. Außerdem können alle uns bekannten Kulturen 'erzählen', das Beschreiben und vielleicht auch das Berichten scheint sich demgegenüber in der Geschichte erst sehr viel später herausgebildet zu haben. In gewisser Hinsicht kann man die anderen Kommunikationsformen als Ausdifferenzierungsprodukte des Erzählens begreifen. Jedenfalls radikalisieren sie bestimmte Phasen der erzählerischen Darstellung und Interaktion und lassen andere weg. Dieser Ausdifferenzierungsprozeß, der vermutlich erst mit dem 16. Jahrhundert und der Entwicklung eines Modells 'wahrer' wissenschaftlicher Beschreibung (vorerst) abgeschlossen ist, eröffnete erst die Möglichkeit, daß ein Erzählen in einem zweiten, engeren Sinne entstehen konnte. Seine nun ebenfalls radikalisierte Form findet dieses Modell im Erzählen in der Therapie oder in Selbsterfahrungszusammenhängen im Alltag. Die Grundfunktion der kommunikativen Interaktionsform 'Erzählen' für den Erzähler (psychisches System) ist in diesem engeren Sinne die kollektive Verarbeitung von Erlebnissen des Erzählers, zu dessen vollständiger Verarbeitung diesem noch Programmteile und vielleicht auch Informationen fehlen. Der Erzähler baut das soziale Kommunikationssystem mit anderen Worten auf, um ein Erlebnis, welches ihn entweder erschüttert oder entlastet hat, mit anderen zu teilen und um sich deren Reaktionen zu vergewissern. Die Zuhörer helfen, das erlebte Geschehen emotional und moralisch zu bewerten und sie übernehmen damit gleichsam Funktionen von Prozessoren des psychischen Systems des Erzählers. Dies ist ein prototypischer Anlaß für den Beginn von Kommunikation: Die Verarbeitungskapazität eines psychischen Systems ist erschöpft und nur durch die Vernetzung mit anderen Systemen und die Nutzung von deren Ressourcen kann es sich wieder aufladen und weiter funktionieren.
Die Leistung des psychischen Systems ist es, durch seine Erzählung einen Input für das soziale System zu geben, der genau diese kollektiven Verarbeitungsprozesse in Gang setzt. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß der Erzähler irgendwann einmal eine soziale Interaktion als problematisch oder irritierend erlebt hat und er Schwierigkeiten bekam, die gewonnenen Ergebnisse mit den vorhandenen Programmen gut zu verarbeiten, sie in seine Biographie zu integrieren.
Nun gibt es zahlreiche Möglichkeiten, wo solche Integrationsprobleme auftauchen können. Eine Erzählung in ihrem ausdifferenzierten radikalen Sinn entsteht dann, wenn ausgelöste affektive Informationen mit den vorhandenen Programmen nicht gut bewältigt werden können. Die Zuhörer werden aus diesem Grunde auch vor allem zu affektiven Bewertungen herausgefordert. Sie übernehmen die Rolle affektiver Prozessoren.
Natürlich beschränken sie sich nicht auf diese Rolle. Das hängt einfach damit zusammen, daß zu ihrer Bewältigung immer auch noch weitere Informationen erhoben werden müssen und auch andere Prozessoren in Anspruch zu nehmen sind.
(Verkompliziert wird die Aufdeckung dieser Sinnfunktion dadurch, daß auch über die Erzählung - und derer interaktiver Bearbeitung - von anderen wieder erzählt werden kann. Zwar handelt es sich hier selbstverständlich auch um selbsterlebte Geschichten, aber der zweite Erzähler kann sich, was insbesondere in der Literatur üblich ist, in eine distanzierte Position zu den eigentlich kritischen Informationen begeben.)
Die Grundfunktion des Beschreibens besteht demgegenüber darin, Defizite in der Informationsgewinnung (und Speicherung) des Zuhörers auszugleichen. Der Beschreiber tritt gleichsam als 'Auge', also als ein besonderer Sensor auf und stellt seinem Zuhörer Informationen über die Umwelt zur Verfügung, die dieser nicht selbst wahrnehmen konnte. Durch die 'Beschreibung' wird eine Parallelverarbeitung von Informationen in der kommunikativen Interaktionsform möglich.
Der Bericht hat ganz ähnliche Funktionen. Nur dienen die von ihm einem sozialen System bereitgestellten Informationen von vornherein dazu, einen institutionellen Entscheidungsprozeß in Gang zu setzen. Er liefert Informationen für relativ genau begrenzte institutionelle Entscheidungsprozesse.
Die Grundfunktionen der Argumentation ist demgegenüber weniger die Informationsbeschaffung als vielmehr die Bewertung von schon gespeicherten Informationen. Es geht den Beteiligten darum, Bewertungsprogramme zu vereinheitlichen und durchzusetzen.