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Selbstreferentielle Methodologie |
Die gemeinsame methodologische Auffassung der verschiedenen
mit qualitativen und interpretativen Verfahren arbeitenden Richtungen (z.B.
die Ethnomethodologie, die Wissenssoziologie und die sog. objektive Hermeneutik)
ist es, die Sozialforschung als einen kommunikativen Prozeß aufzufassen. Sie unterscheidet sich damit von der klassischen empirischen Sozialforschung erheblich: Deren Methodik läßt sich auf weite Strecke gerade als eine Lehre darüber verstehen, wie man es als Forscher verhindern kann, seine Untersuchungsobjekte zu beeinflussen. Vom Geben und Nehmen, welches das Wesen der Kommunikation ausmacht, bleibt dabei auf der Seite der Versuchspersonen/ Versuchsobjekte nur das Geben und auf Seiten des Forschers das Nehmen. Die Kommunikationsforschung muß, wenn sie denn ihre Theorie über ihren Gegenstand ernst nimmt, diese Schematisierung als praktisch undurchführbar und im übrigen sinnlos ablehnen und stattdessen Forscher und Untersuchungspersonen als gleichberechtigte, wenn auch sozial differenzierte Kommunikationspartner auffassen. Wenn man nämlich davon ausgeht, daß die soziale Wirklichkeit kommunikativ erzeugt wird, dann muß man auch annehmen, daß die Forscher ihre Konstrukte kommunikativ erzeugen. Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Verhalten und dem Erleben der Forscher und der Beteiligten im sozialen Feld. Beide sind gezwungen, ihre Umwelt interpretativ zu erschließen. Wird z.B. eine Marktforschung im Stile der Kommunikativen Sozialforschung durchgeführt, so bedeutet dies konkret: Man geht davon aus, daß jeder Käufer eine Marktforschung im kleinen betreibt und betrachtet es als Forschungsaufgabe, die Programme zu rekonstruieren, die dieser Marktforschung zugrunde liegen. Da man weiter davon ausgeht, daß sich diese Programme letztlich kommunikativ ausgebildet haben, kann man sie auch nicht durch bloße Betrachtung ermitteln sondern man braucht das Gespräch. Ein solches Gespräch als Teil der Sozialforschung ist natürlich etwas anderes als die Befragung, das Ankreuzen in Fragebogen oder der 'Response' auf standardisierte Interviews. Hier taucht das Gegenüber ja nicht als Gesprächspartner sondern lediglich als ein Informationsmedium unter anderen auf. Man behandelt seine Antworten so, wie man etwa auch die Tabellen über den Pro-Kopf-Verbrauch von Schnittblumen behandelt. Eine solche Form der Informationsgewinnung ist ganz unverzichtbar, aber sie ist natürlich keine Kommunikation. Kommunikation setzt demgegenüber voraus, daß mehrere Beteiligte etwas gemeinsam leisten, daß es Rückkoppelungsprozesse gibt und folglich das Ergebnis dieser Dynamik etwas anderes ist, als das, was jeder einzelne einbrachte oder schon vorher wußte. Will man den selbstreferentiellen Ansatz ernst nehmen, d.h. die Theorien, die man über den Gegenstand entwickelt hat, auch auf sich selbst anwenden, dann muß man den Forschungsprozeß als einen kommunikativen Prozeß gestalten, das Forschungssystem als ein Kommunikationssystem begreifen, in dem zumindest zeitweise auch die sog. Untersuchungsobjekte gleichberechtigte Mitglieder sind. Dies geschieht z.B. dadurch, daß Interviews als 'narrative Interviews' durchgeführt werden, in denen der Interviewer seine Leitrolle zeitweise an den Interviewten abgibt und in dem die Fragen eher als Anregung zur Selbstexploration der Interviewten zu verstehen sind, denn als Datenerhebung. |