Fliesstext Analyse und Darstellung der Strukturen kommunikativer Netze: Soziogramme, Soziomatrix und Soziometrie
   
Kommunikative (u. a.) Netze lassen sich mathematisch als 'Mengen' auffassen: Sie bestehen aus einer bestimmten Anzahl von Elementen (den Kommunikatoren/Knotenpunkten/Entscheidungszentren) und von Relationen. Solche Mengen werden auch 'Graphen' genannt. Die mengentheoretische Bestimmung ist gleichzeitig die einfachste, nämlich strukturelle Definition eines 'Systems'.
Graphen und die strukturelle Dimension von Systemen lassen sich in graphischer Form oder als 'Matrizen' abbilden.
In der Praxis ist die Abgrenzung von sozialen Systemen, also die Entscheidung wer oder was zum System gehört, allerdings für die Beteiligten nicht immer einfach. Normalerweise benutzt man für graphische Darstellungen die folgenden Symbole:
 
 
Werden soziale Systeme in dieser Weise abgebildet, spricht man von Sozio-und Organogrammen bzw. von Soziomatrizen. Alle Soziogramme lassen sich in Sozimatrizen überführen (und umgekehrt) und damit den Verfahren der Matrizenrechnung zugänglich machen.
Im Prinzip kann der Forscher frei entscheiden, welche Form des Sozialkontakts er beobachten und damit zum Katalysator der Systembildung machen will.
Bekannt wurden vor allem der Vorschlag von Jakob Levy Moreno (1890 - 1974), die subjektiven Präferenzbeziehungen in Gruppen als Kriterium/Katalysator zu nehmen: Die Mitglieder des Sozialsystems werden aufgefordert, andere Gruppenmitglieder für gruppenrelevante Tätigkeiten auszuwählen oder abzulehnen. Die Anzahl der Wahlen bestimmt den 'soziometrischen Status' des einzelnen. Moreno hat dieses Verfahren 'Soziometrie' genannt. (Die Grundlagen der Soziometrie, Köln 1954, zuerst Washington 1934). Er sah darin weniger ein apartes wissenschaftliches als vielmehr ein gruppendynamisches Instrument: "Der soziometrische Test in seiner dynamischen Form ist eine revolutionäre Kategorie der Forschung. Er stürzt die Gruppen von innen her um" - indem der ihr eine Bestandsaufnahme des eigenen Verhaltens vorlegt - "und verändert ihre Beziehung zu anderen Gruppen; er stellt eine Sozialrevolution kleineren Ausmaßes dar". (Sociometry and marxism. Sociometry 12, 1949: 104 - 143, hier 114). Moreno besitzt insoweit Verdienste für die Gruppendynamik und die 'Aktionsforschung'. Seine Definitionen wurden in der Folgezeit vielfach kritisiert und erweitert, bspw. lassen sich Substrukturen auch indirekt, durch die Ermittlung ähnlichen Wahlverhaltens ermitteln. Die Frage, wie dauerhaft Sympathiewahlen die Gruppenstrukturen beeinflussen, ist umstritten. M. Koskenniemi (Soziale Gebilde und Prozesse in der Schulklasse, Helsinki 1936) hat etwa festgestellt, daß solche Wahlen 'flüchtige' Erscheinungen sind. Bei Wiederholungen von Wahlen an nachfolgenden Tagen, trafen weniger als ein Viertel der Schüler wieder die gleichen Entscheidungen.

Die einfachste Form, in kommunikationsanalytischer Sicht Soziogramme und Soziomatrizen zu entwickeln, ist die Ermittlung kommunikativer Bahnen und deren Benutzung.
In einer Fünfergruppe beobachtet man z. B. folgendes Gesprächsverhalten: A spricht B an und erhält von ihm eine Antwort; sodann wendet sich B an C. C spricht E an und erhält eine Rückmeldung. B wendet sich dann an D und D an C. Schließlich fragt E B, ohne eine Antwort zu bekommen. Dies Geschehen läßt sich in folgendem Soziogramm darstellen:

 

 
In Matrizenform geschrieben:
 
  A B C D E
A 0 1 0 0 0
B 1 0 1 1 0
C 0 0 0 0 1
D 0 0 1 0 0
E 0 1 1 0 0
 
Soziogramm und Matrizen bilden die Grundlage weiterer Reflexion. Z. B.: Während B der kommunikativ aktivste ist, wir er nur durchschnittlich häufig selbst angesprochen. Die meisten 'Ansprachen' erhält C usf....
An diesem Beispiel wird im übrigen schon deutlich, daß Systemanalysen ohne die Berücksichtigung der dynamischen Dimension nur begrenzte Aussagekraft besitzen.

Normalerweise werden in der Beratung Soziogramme erst dann eingesetzt, wenn in einem System eine Soll-Ist-Abweichung auftritt. Man kann dann die durch das Soziogramm gewonnenen Informationen mit den Soll-Vorstellungen, also z. B. mit den Aufgabenbeschreibungen der Beteiligten, den Dienstwegen usf. vergleichen und erhält so Aufschluß darüber, welche Beziehungen, Frequenzen usf. abweichen. Daraus müssen dann Schlußfolgerungen entweder für eine Änderung der Normen oder für eine Änderung der Organisationsstruktur oder für beides gezogen werden.
Dieses Projekt nutzt häufig auch eine Informationsweg-Analyse.

Formale Strukturen kommunikativer Netze: Zentralitätsindex

Die Form des Netzes bedingt für jeden Teilnehmer den Zugänglichkeitsgrad der Information. In einer zentralisierten Struktur haben die Ausführenden an der Basis der
Pyramide keine Möglichkeit, Informationen über die Tätigkeit der anderen zu erhalten, außer wenn der Führer (der über alle Informationen verfügt) sie ihnen zukommen läßt (was für ihn einen enormen Arbeitsaufwand bedeutet). Es läßt sich nun für
jeden Teilnehmer ein Zentralitätsmaß angeben. Dazu addiert man für jeden einzelnen die Anzahl der nötigen Zwischenstellen, um einen anderen zu erreichen; diese Zahl wird zum Nenner eines Bruches, dessen Zähler die Gesamtzahl aller Zwischenstufen für das ganze Netz ist. Der Quotient ist der Zentralitätsindex des Teilnehmers. Berechnen wir einmal diesen Index für die Mitglieder A, B und D in einer zentralistischen Struktur
(1):
 

  A B D
  AB=1 BA=1 DA=2
  AC=1 BC=2 DB=1
  AD=2 BD=1 DC=3
  AE=2 BE=1 DE=2
  AF=2 BF=1 DF=2
  AG=2 BG=3 DG=4
  AH=2 BH=3 DH=4
  Al=2 Bl=3 Dl=4
Insgesamt 14 15 22
 
Die Gesamtziffer für alle Teilnehmer des Netzes ist A (14) + B (15) + C (15) + 6D (6x22)=176

 

(1) Berechnungsbeispiel nach: R. Mucchielli: Gruppendynamik, Salzburg 1972: 51f