(Vgl. auch die Unterscheidung der verschiedenen
Emergenzniveaus des Sozialen in der Soziologie!)
Im Gegensatz zu den kleinräumigen Regeln, zu denen
man auch das Vorwurf - Rechtfertigungs- und das Frage - Antwortschema
rechnen kann, die jeweils nur turnweise in Kraft gesetzt und ratifiziert
werden, bestimmen die kommunikativen Normalformen, einmal in Gang gesetzt,
das Handeln und Erleben der Beteiligten über einen längeren
Zeitraum hinweg. Normalformen lassen sich zwar modifizieren, aber sie
müssen in Rechnung gestellt und können nicht individuell und
ad hoc außer Kraft gesetzt werden. Dazu sind gesellschaftliche Entinstitutionalisierungsprozesse
erforderlich. Werden Normalformen einmal in Kraft gesetzt, dann versehen
sie die Handelnden mit weiträumigen Erwartungen über den Ablauf
der Interaktion und über die Aufgaben und Typisierungen der Beteiligten.
Sie dienen als Programme zur Steuerung der Kooperation. Man muß
aber betonen, daß die Normalformen nur als Folie dienen, vor der
die Interaktionspartner in jedem empirischen Fall erneut aushandeln können,
wie sie ihre Aktivitäten im einzelnen aufeinander abstimmen wollen.
Eben deshalb ist das faktische Verhalten der Interaktanten auch keine
"Materialisierung" dieser Normalformerwartungen. Diese sind
keine Verhaltensvorschrift und kein Handlungsmuster, sondern eben die
Erwartung einer bestimmten Kooperationsform und die Erwartung, daß
es davon Abweichungen gibt. Alle Institutionen haben deshalb auch bestimmte
Maximen für den Umgang mit solchen Abweichungen herausgebildet. Die
Ermittlung dieser Korrekturmechanismen ist eine weitere typische Aufgabe
der Konversationsanalyse.
Im Prinzip läßt sich jede Kommunikation,
an der mehrere Personen beteiligt sind und die in institutionellen Kontexten
abläuft, unter allen vier genannten Perspektiven behandeln. Man kann
sie in dyadische Kommunikationsbeziehungen auflösen und nach alltäglichen
Bedeutungszuschreibungen fragen. Man kann sie als ein Gruppengespräch
betrachten, nach kommunikativen Interaktionsformen suchen und sie schließlich
auch als ein institutionelles Geschehen begreifen. Wenn man genau vorgehen
will und die Muße dazu hat, so wird man alle vier Systematisierungsmöglichkeiten
ausschöpfen. Man kann sich als Betrachter aber auch seine Perspektive
vorgeben lassen: Die Interaktionsbeteiligten sind, wenn es denn zu einer
Verständigung kommt, immer schon selbst gezwungen gewesen, zu definieren,
als welches Kommunikationssystem sie sich zu einem beliebigen Zeitpunkt
betrachten wollen. Die Ermittlung dieser Selbstdefinition ist immer eine
Aufgabe des wissenschaftlichen Betrachters. Aber ganz gleich, welche Ebene
die Beteiligten fokussieren, latent wird ihre Kommunikation immer auch
durch die Ordnungsstrukturen der anderen Ebenen der Reziprozitätsherstellung
bestimmt.
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