Der Begriff 'kommunikative Sozialforschung' ist erst in den
70er Jahren von Bielefelder Soziologen und Sprachwissenschaftlern eingeführt
worden. (Vergleiche: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen: Kommunikative
Sozialforschung. München 1976). Sie wollten damit nicht in erster
Linie ausdrücken, daß die Kommunikation ein lohnender Gegenstand
der Sozialforschung ist.
Vielmehr sollte schon durch die Begriffswahl deutlich gemacht werden,
daß auch der Forschungsprozeß als Kommunikation, als ein Gespräch
mit Rückkopplungsmöglichkeiten und selbstreflexiven Phasen zu
gestalten ist. Sie richteten sich damit gegen Formen der Verhaltensforschung,
die nur die distanzierte Betrachtung als Medium der Erfahrungsgewinnung
akzeptiert und versuchten, bestimmte Schwächen der quantitativen,
statistisch orientierten Soziologie zu kompensieren.
Orientierung auf (latente) Programme
Für letztere ist Ausgangs- und Endpunkt der
Untersuchung das für seinen Beobachter sichtbare und damit auch zählbare
Verhalten von Individuen, Gruppen, Organisationen und Gesellschaften.
Das ist natürlich eine Untersuchungsmöglichkeit. Andererseits
ist den Soziologen nicht verborgen geblieben, daß es nicht nur eine
Ordnung des sozialen Verhaltens sondern auch eine solche der sozialen
Erwartungen oder Ideen gibt. Die Menschen beobachten ihre Umwelt, aber
sie handeln erst aufgrund ihrer Interpretationen, ihrer Wahrnehmungen.
Schon Alfred Schütz hatte deshalb formuliert, daß sich soziale
Ordnung erst aufgrund solcher Interpretationen oder wie er es nannte,
'Typisierungen' herstellt und daß sich diese Typisierungen in der
sozialen Kommunikation herausbilden.
Niklas Luhmann führt diesen Gedanken weiter, wenn
er davon spricht, daß nicht das Verhalten, nicht einmal die Erwartung
des Verhaltens, sondern erst die Erwartungen von Erwartungen zu sozialen
Systembildungen führen.
Die Erwartungen und erst recht die Erwartungen fremder Erwartungen lassen
sich natürlich nicht in der Weise mit den Augen wahrnehmen, wie das
soziale Verhalten. Es sind risikoreiche Idealisierungen, die sich keineswegs
unmittelbar im Verhalten umsetzen.
Die individuellen Programme lassen sich sozial nicht immer einlösen,
weil das kooperative Verhalten als Kompromiß zwischen den verschiedenen
Plänen mehrerer Personen entsteht. (Aushandlung) Die sozialen Programme,
wie z.B. institutionelle Normalformerwartungen lassen sich nicht durchhalten,
weil in jedem empirischen Fall Umweltfaktoren störend oder beschleunigend
eingreifen.
Zu dieser, alle sozialen Normen modifizierenden Umwelt, gehört vor
allem auch die individuelle Persönlichkeit, die eben nicht in der
jeweiligen Rolle aufgeht.
Wenn nun aber aus dem konkreten Verhalten der Individuen nicht gradlinig
auf die sozialen Normen oder Programme geschlossen werden kann, dann kann
die Verhaltensbeobachtung auch nicht der Königsweg einer sozialwissenschaftlichen
Forschung sein, der es um eben diese sozialen Normen geht (Diese Schlußfolgerungen
hat den sogenannten ‘Positivismusstreit’ in der deutschen
Soziologie der 60er Jahre angestoßen).
Um die sozialen Programme und die individuellen Erwartungen zu ermitteln,
sind eigene Methoden, die sog. interpretativen oder qualitativen Verfahren
von verschiedenen Schulen, z.B. von der Ethnomethologie, der Wissenssoziologie,
der sog. objektiven Hermeneutik und eben von der kommunikativen Sozialforschung
entwickelt worden.
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