Beispiel Selbstreflexion der Auswertungsphase
   
(Mangelnde gruppendynamische Selbstreflexion als Ursache für Auswertungsschwächen)
Ein Forschungsteam, welches die Untersuchung der Kultur eines kleinen Gartenbaubetriebes (13 Mitarbeiter) zum Ziel hatte, war zu folgendem Ergebnis gekommen: Einerseits sieht sich der Betriebsleiter als "Soziogärtner" und versucht das Unternehmen auch entsprechend sozial freundlich ökologisch zu organisieren. Hier ist viel von kundenfreundlichen Visionen die Rede, biographische Erfahrungen und Ziele werden geschildert. Das Team fasst die Ergebnisse der Mikroanalyse sehr schön im Medium des Rollenspiels zusammen: Der Betriebsleiter erscheint als Gärtner mit buntem Hemd, Strohhut, Gießkanne und hochgekrempelten Ärmeln.
Auf der anderen Seite erscheint der Betrieb als eine Fußballmannschaft und der Betriebsleiter als Trainer derselben. Hier geht es darum, im ökonomischen Wettbewerb zu gewinnen und dazu wird eine ausgefeilte Spieltaktik entworfen.
In dieser Phase tritt der Betriebsleiter in braunem Anzug, weißem Hemd, Krawatte, als straighter Manager auf.
Daneben gibt es noch eine dritte Gruppe von Beschreibungen des Betriebes, für die das Forscherteam keinen Oberbegriff gefunden hat. Auf die im Rahmen der Datenerhebung gestellte Frage beispielsweise, ob man in dem Betrieb auch mal etwas gemeinsam mache, neben der eigentlichen Arbeitstätigkeit, war nur der Hinweis auf die Besichtigung anderer Betriebe gefunden. Fühlt sich der Betriebsleiter als Teil der Gruppe? Das Forscherteam tendiert dazu, hier eine dritte Identität des Betriebsleiters als schizophrene Addition der beiden vorangehenden anzunehmen: Er tritt hier mit offenem Hemd und Arbeitshose, aber mit Anzugjacke und Krawatte auf.
Systematisch gesehen wird der Betrieb in der ersten Analyse als Ansammlung von Individuen gesehen und hier natürlich der Betriebsleiter ausführlich betrachtet. Im Mittelpunkt stehen dessen Visionen und deren biographischen Hintergründe.
Im zweiten Schritt hat man den Betrieb als eine ökonomische Organisation untersucht und hier die rationale, auf die Zwänge der Ökonomie antwortende Unternehmensorganisation und -philosophie hervorgehoben.
Als dritte Analyseebene würde ich jetzt erwarten, dass der Betrieb als eine Gruppe und die dazugehörende Gruppendynamik geschildert wird. Dies geschieht auch in Ansätzen, beispielsweise setzt man sich mit dem Soziogramm auseinander, welches eine Gesellin von dem Betrieb entworfen hat. Natürlich ist die Rolle des Betriebsleiters hier, da er nur ein Teil der Gruppe ist, geringer als bei den beiden anderen Perspektiven, wo er als Repräsentant des Systems auftrat.
Welche Gründe gibt es nun für die offensichtlichen Schwierigkeiten des Forscherteams, eine gruppendynamische Sichtweise auf die Betriebskultur einzunehmen? Das Forscherteam selbst setzt sich aus eigenwilligen, starken Persönlichkeiten zusammen, die sehr selbstbewusst ihre jeweiligen Interessen vertreten. Schon während der Datenerhebung und Auswertung war mir die große Zielstrebigkeit aufgefallen, mit der diese Gruppe an ihre Aufgaben heranging. Sie verlangten klare Arbeitsanweisungen und nachdem sie diese verstanden hatten, schickten sie uns als Betreuer des öfteren weg, um ihre Arbeit allein zu machen. Die klare Zielorientierung verhinderte jede gruppendynamische Auseinandersetzung. Die Selbstreflexion sollte als eine Arbeitsaufgabe wie jede andere nach dem Analyse der Daten erfolgen.
In der Diskussion weise ich darauf hin, dass die Schwierigkeit, die gruppendynamische Perspektive auf den Betrieb einzunehmen und die verschiedenen Analysedimensionen zusammenzubringen, vielleicht etwas mit dem Selbstbild und den Stärken und Schwächen des Forscherteams zu tun hat: Die starke Personen- und Zielorientierung schränkt die Aufmerksamkeit für gruppendynamische Prozesse ein: Sowohl bei dem untersuchten Betrieb als auch bei der Forschergruppe selbst. Die nicht vorhandene Selbstbeschreibung als Gruppe verhindert, dass Spiegelungen zwischen der Forschergruppe und dem Betrieb als Gruppe erkennbar werden.
Zugleich gibt es das Bedürfnis, die widersprüchlichen Beschreibungen des Betriebsleiters als Mangel an Konsequenz zu bewerten. Die positiven Auswirkungen des Miteinanders der verschiedenen Kulturen werden weniger gut erkannt als die Widersprüche und Differenzen. Die als Synthese verstandene letzte Kostümierung des Betriebsleiters führt zu einer rätselhaften komischen Figur. (Witzfigur)
In dieser Situation ist es sinnvoller, zunächst die Selbstreflexion der Gruppenarbeit voranzutreiben und die Beziehungsstruktur zu klären als weiter an der Analyse des Betriebes zu arbeiten.

Fortsetzung 30. Juni 1999

Im SS sollten die Ergebnisse dieser (selbstreflexiven) Weiterarbeit vorgestellt und die Schwächen in der Interpretation des dritten Bildes behoben werden. (Nutzung der Selbstreflexion zur Umwelterkundung).
Bei der Präsentation im Juni geschieht dies nicht. Es erfolgt im Wesentlichen eine Wiederholung des Vortrags aus dem WS. Dabei besticht das Forscherteam wieder durch eine klare Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Mitgliedern und eine konzise Ergebnisdarstellung.
Als ich auf die fehlende gruppendynamische Selbstreflexion hinweise, wird mir gesagt, ich hätte ja genau diese nicht haben wollen. Sie als Arbeitsgruppe hätten das schon gewollt, es hätte ihnen auch wohl wieder den Spaß an der Sache zurückgegeben, aber in der Besprechung hätte ich ihnen diese Beschäftigung quasi verboten. (Ich kann mich bestens daran erinnern, dass ich ihnen empfohlen hatte, zuerst die im Februar vorgetragenen Ergebnisse, die ja noch nicht in Schriftform vorlagen, zusammenzustellen und dann erst in die Selbstreflexion einzusteigen. Ansonsten würden sich die Ergebnisse der verschiedenen Analysephasen vermischen.)
In der Plenumsituation sage ich dies nicht. Stattdessen sage ich: Es sei schon möglich, dass ich damals den Eindruck erweckt habe, als wenn andere Dinge wichtiger als die Selbstreflexion sind. Warum aber hat das Forscherteam bei aller seiner Zielstrebigkeit und der großen Selbständigkeit, die uns in der Betreuung dieser Gruppe immer wieder aufgefallen ist, gerade in diesem Punkt so gegen ihr Gefühl und gegen ihre Interessen gearbeitet?

Fortsetzung 1. Juli 99

Ein Mitglied des Forscherteams möchte eine Studienarbeit über das im WS begonnene Projekt schreiben.

Ich gebe ihr meinen Text und ihr fallen einige Ähnlichkeiten zwischen der Forschungsgruppe und dem Betrieb zusätzlich ein. Sie entscheidet sich also für das Spiegelungsthema.

Fortsetzung 28. Juli

Die Spiegelung zwischen der Forschergruppe und dem Betrieb sind kaum mehr empfindlich. Aber nun werde ich als Leiter des Seminars mit den Betriebsleitern verglichen.