Beispiel Spiegelungsphänomene zwischen untersuchtem System und Forscherteam
   

Der Aufbau des Forschungssystems

Im Rahmen eines universitären Forschungslernseminars haben sich drei Projektgruppen gebildet, die unterschiedliche Systeme untersuchen. Drei Studentinnen und ein Student nahmen Kontakt zu einem Gartenbaubetrieb auf und vereinbarten mit dem Betriebsleiter eine Organisationsdiagnose. Hierzu sollten Interviews mit Vertretern aus den verschiedenen Bereichen und der unterschiedlichen Hierarchiestufen geführt werden. Am Ende sollten die Ergebnisse sowohl als Studienarbeit an der Universität eingereicht als auch dem Betrieb zurückgekoppelt werden.

Der Seminarleiter (M. G.) und seine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen halfen den Projektgruppen bei der Planung der Untersuchung und der Auswertung der Daten. Sie sind insoweit Teil des Forscherteams.

Was den Auftraggeber anlangt, ist die Situation für universitäre Projektarbeiten typisch: Einerseits tritt die Seminarleitung als Auftraggeber auf, andererseits erhalten die Studenten von dem untersuchten System einen Auftrag, dessen Erfüllung als Gegenleistung für die Möglichkeit der Datenerhebung angesehen wird. Es handelt sich also um den typischen Fall für einen Dreieckskontrakt.

Die Komplexität des Forschungssystems gibt die nachfolgende Abbildung wieder:
 

 
In der Selbstreflexion der Arbeit des Forscherteams entdeckt dieses Spiegelungen mit dem untersuchten System (Betrieb 'Heder'). So übernimmt Sven innerhalb der Forschergruppe Aufgaben, die jenen des Betriebsleiters ähnlich sind, Ines solche des Meisters und Karin kommt in der Gruppe in eine ähnliche Rolle, wie sie die 'schlechten Mitarbeiter' in dem Betrieb einnehmen. Hier Auszüge aus der Selbstreflexion:

„Aufgrund der Beschreibungen Heders und seiner Produktionsgehilfin über die Funktion und Rolle Heders im Betrieb und der Rollenbeschreibung der Heder-Gruppe, können Spiegelungen zwischen Sven und dem Betriebsleiter beobachtet werden. So haben beide ein auffälliges Interesse an ökonomischen Dingen, und richten ihr Augenmerk bei der Arbeit auf gute Organisation und das Auftreten der Gruppe bzw. des Betriebs nach Außen.
Sven's Versuche den Arbeitsprozess zu beschleunigen und zu organisieren, sich dabei aber auch mit den Vorstellungen der anderen Gruppenmitglieder auseinander zu setzen, könnte Heders Ziel, den Betrieb als Ganzes zu organisieren, und seiner Koordination mit dem Meister der Produktion widerspiegeln.“

Zusammenfassender Vergleich der Selbstbeschreibungen und der Aufgaben von Sven und dem Betriebsleiter H.
 

Sven Betriebsleiter Heder
wissenschaftliche ökonomische Theorien sind wichtig an wissenschaftlichen und ökonomischen Theorien orientiert
schnelles Vorankommen/ Zuendekommen mehr am Ziel orientiert, weniger am Prozess Operatives, strategisches Management
Organisation („Ich würde wohl das und das machen, was macht ihr?“) Versicherung („das machen wir doch jetzt so, oder?“)Ordnung ins Chaos bringen, Metakommunikation Organisation, Absprachen über den Ablauf mit dem Meister
Präsentation nach außen (Vorträge, Status quo) Marketing damit das Bild stimmt.
 
Wenn man davon ausgeht, dass ein Meister sich um die Produktion und um die Organisation von Arbeitsabläufen sowie um Mitarbeitereinsatz und –koordination zu kümmern hat, dann lässt sich feststellen, dass Ines während der Forschungsarbeit im weitesten Sinne die Aufgabe eines Meisters in der Gruppe übernahm.

Die folgende Liste stellt Eigenschaften, die Ines Rolle auszeichnen und die mit den Aufgaben eines Meisters allgemein vergleichbar sind, zusammen:
 

Ist- Stand- Soll-Stand vergleichen (Was wollen wir heute machen? Was steht auf dem Programm?)
Vorgehen bei der Arbeit /Forschung strukturieren
Terminabsprachen Organisation/ Absprachen mit Seminarleitern treffen
Arbeitsutensilien besorgen
Prozessorganisation (Wer will was machen? Was muss wie gemacht werden?)
Versuch „schwache“ Mitarbeiter zu integrieren oder „abzuwimmeln“

Die grundlegende Trennung zwischen Marketing und 'Verkauf' einerseits und der Produktion andererseits, die für den untersuchten Betrieb typisch ist, lässt sich auch in der Arbeit des Forscherteams wiederfinden. Während Sven die Präsentation der Ergebnisse der Gruppe im Seminar mit viel Geschick (Rollenspiel, Kostüme, Metaplan Wände mit farbigen Zeichnungen ...) vorbereitet, trägt Ines die Hauptlast bei der 'Produktion' der Ergebnisse. Die durch diese – ungeplante und nicht ratifizierte – Arbeitsteilung im Forscherteam entstehenden Spannungen können es im Prinzip erleichtern, die Spannungen in dem Betrieb 'Heder' nachzuvollziehen.
Zur diesbezüglichen Arbeitsteilung im Betrieb vgl. den Transkriptionsausschnitt aus dem Interview mit dem Betriebsleiter.

Eine solche Nutzung von Spiegelungsphänomenen setzt aber selbstverständlich ihre Deutung im Forscherteam voraus. Die Konflikte und Rollen müssen thematisiert werden und danach kann die strukturelle Diagnose des Forscherteams als heuristische Folie für das Verständnis der Daten des untersuchten Systems genutzt werden.

Dies wäre insbesondere auch für die Beratung des Betriebs im Hinblick auf die bessere Motivierung der sogenannten 'schlechten' MitarbeiterInnen sinnvoll. Im konkreten Beispiel der studentischen Gruppe konnte diese Spiegelung nicht bearbeitet werden.

Die dritte Spiegelung, jene zwischen Karin und den weniger motivierten MitarbeiterInnen in dem Betrieb wird von einem Mitglied des Forscherteams wie folgt beschrieben:

„An Karins Verhalten während des Seminars können viele Parallelen zu „negativ“ auffallenden Mitarbeitern, wie Herr Heder sie beschreibt, erkannt werden. Die nachstehende Tabelle soll dies verdeutlichen.
 

Karin Schlechte Mitarbeiter
Oft ganz „rausgezogen“;sich nicht integrieren wollen/ können Wollten/ konnten sich nicht integrieren;nicht offen und vertrauensvoll gegenüber Teamarbeit
Keine große Eigeninitiative; macht nur, was ihr gesagt wird Hilflos in Freiräumen; brauchen Vorgaben und genaues Gerüst
 
Hier scheint eine starke Spiegelung zwischen einem Mitglied der Forschergruppe und dem untersuchten System stattgefunden zu haben.“