Schon vor der Herausbildung der neuzeitlichen Wissenschaften
hat man bestimmte Phänomene als ‘kommunikativ’ bezeichnet
und sich mit ihnen reflexiv auseinandergesetzt. Zur Lösung immer
wiederkehrender Kommunikationsprobleme des Alltags fand man Regeln und
formulierte Rezepte. Die bekanntesten Beispiele sind die antike Rhetorik
als Lehre darüber, wie ein Redner sein Publikum von seiner Meinung
überzeugen kann, die Dialektik als Lehre von der Begründung
von Aussagen in (dyadischen) Diskursen, später die verschiedenen
Lehren über schriftlichen Mitteilungen (Briefsteller, Formularlehren
...).
Diese Form von Rezeptwissen würde man heute nicht als ‘wissenschaftlich’
bezeichnen sondern es eher als spezialisiertes Alltagswissen (Expertenwissen)
begreifen, welches keine neue Ebene oder Wirklichkeit schafft. Trotzdem
liegt in diesen frühen Systematisierungsversuchen eine Wurzel der
neuzeitlichen Kommunikationswissenschaft.
Zahlreiche Gegenstände der Lehre des Faches ‘Kommunikationswissenschaft’
an den Hochschulen bestehen in solchen Praxisanleitungen: journalistisches
Schreiben, Recherchetechnik, Interviewführung, Moderation, Nachrichtensprechen,
Layout, Meinungsumfragen ....
Da jegliche Wissenschaft auch Probleme außerhalb ihrer selbst, und
letztlich Probleme des Alltags lösen muss, sind solche Formen der
Praxisanleitung im Wissenschaftsbetrieb unverzichtbar. Allerdings unterscheiden
sich die Disziplinen und eben auch die verschiedenen Schulen der Kommunikations-
und Medienwissenschaften durch den Grad ihrer Nähe zur alltäglichen
Praxis. Die traditionelle Publizistik etwa ist aus der Reflexion journalistischer
Praxis hervorgegangen und pflegt einen engen Bezug zu dieser Form professionellen
Handelns.
Kritisch wird es, wenn die Grenzen zwischen professioneller Praxis und
wissenschaftlicher Praxis, bzw. zwischen den Aussagen der Praktiker und
den Modellen der Wissenschaftler verschwimmen. Die für die Wissenschaften
konstitutive Trennung zwischen Empirie und Theorie, zwischen Daten und
ihrer Modellierung wird damit in Frage gestellt. Es ist u.U. nicht klar,
was als Datum und was als Modell gelten soll. Die für jede distanzierte
Betrachtung und Reflexion erforderliche Entlastung vom Handlungsdruck
gerät ins Wanken. Die Kriterien der Praxis überlagern eine unabhängige
wissenschaftliche Bewertung. Diese Entdifferenzierungsprozesse werden
erheblich verstärkt, wenn, wie dies augenblicklich der Fall ist,
die institutionelle Trennung von Berufsausbildung (Vermittlung von Expertenwissen)
und wissenschaftlicher Ausbildung aufgehoben wird. Das berufsorientierte
Kurzstudium (bachelor) erhebt vielfach den Anspruch, beides zu leisten.
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