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Die Kommunikationswissenschaft als Kulturwissenschaft |
1. | Das Konzept der Kulturwissenschaft' und der Kultur' bietet die Chance, die im Zuge der Arbeitsteilung getrennten Natur-, Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften wieder miteinander in Kontakt zu bringen. Dies geht aber nur, wenn Kultur sowohl als natürliches als auch als technischen und soziales Phänomen begriffen wird. In diesem Falle haben die Sozial- und Geisteswissenschaften allerdings auch keinen gegenüber den Naturwissenschaften und den Technikwissenschaften bevorzugten Zugang zur Kultur. Die Kulturwissenschaften sind keine Abteilung der Sozial- und/oder Geisteswissenschaften. Oder anders: Kultur ist kein nur soziales Phänomen. |
2. | Insbesondere macht es keinen Sinn von Kulturwissenschaft' zu reden, wenn man damit Sozialwissenschaft' meint - oder keine klaren Unterschiede zwischen sozialen und kulturellen Phänomenen benennen kann. Das gleiche gilt natürlich auch für die Sprach- und Literaturwissenschaften. Auch sie sollten sagen, was sie anders sehen, wenn sie die Welt anstatt als Ansammlung von Zeichen und Texten, als kulturelles Phänomen betrachten. |
3. | Will man unter Kultur ein integratives, 'mehrdimensionales' Phänomen verstehen - und nur dann scheinen mir kulturwissenschaftliche Anstrengungen sinnvoll - , dann wird man Abschied nehmen müssen von dem Ideal eines homogenen Objektbereiches, welches für die traditionellen Einzelwissenschaften konstitutiv ist. Wir werden es mit Objekten zu tun haben, die ganz unterschiedlicher Art sind, auf unterschiedlichen Ebenen emergieren und wir werden der Versuchung wiederstehen müssen, diese Unterschiede durch die Entwicklung einer Makrotheorie wieder einzuebnen. Eine Spezifik der Kultur liegt darin, dass sie inhomogen ist. Diese Inhomogenität ist auch für den Objektbereich der Kommunikationswissenschaft konstitutiv. |
4. | Einschlägige Erfahrungen mit den Tücken inhomogener Objekte haben gerade die Kommunikationswissenschaften. Sie sind sowohl mit Kommunikatoren als auch mit Medien, sowohl mit Informationen als auch mit informationsverarbeitenden Systemen, sowohl mit Soft- als auch mit Hardware befasst. Wie die Aufgliederung in Medien- und Kommunikationswissenschaften schon zeigt - von der Abspaltung der Informatik gar nicht zu reden - hat bislang die Sehnsucht nach einem homogenen Objektbereich die Schaffung einer einheitlichen kommunikations- oder/und medienwissenschaftlichen Disziplin verhindert. Ambivalenzen und Widersprüche werden nicht als solche modelliert, sondern durch wissenschaftliche Arbeitsteilung aufgelöst'. Abhilfe scheint nur möglich, wenn es gelingt, dem Objektbereich dieser Disziplin Parameter zu geben, die unterschiedliche Klassen von Objekten zulassen. |
5. | Erfolgreiche Strategien für den Umgang mit artverschiedenen Objekten (z.B. Natur, menschliche Gesellschaft, Technik) und einem inhomogenen, interdisziplinären wissenschaftlichen Objektbereich hat die Ökologie entwickelt. Ihre Erkenntnisse lassen sich nutzen, wenn man Kulturen als ökologische Netzwerke begreift. Eine Theorie kultureller Kommunikation bzw. eine kulturwissenschaftliche Fundierung der Kommunikationswissenschaft wird sich in diesem Sinne an das ökologische Paradigma anschließen. |
6. | Die Spezifik kultureller Informationsverarbeitung und Vernetzung
ergibt sich gerade daraus, dass unterschiedliche Typen von Informationssystemen/Kommunikatoren
mit unterschiedlichen Typen von Medien mal so, mal anders verbunden sind.
Sowohl in Computern herkömmlicher Bauart, als auch in den neuronalen
Netzen hat man es demgegenüber mit gleichartigen Elementen zu tun.
Die Komplexität unserer Kultur besteht nicht nur in einer Vielfalt
von Prozessoren in quantitativer Hinsicht (mehr vom Selben), sondern auch
in qualitativer Hinsicht: Biogene, psychische, soziale, physikalische u.
a. Medien und Systemtypen wirken zusammen. Genau um diesen inhomogenen Charakter gesellschaftlicher Netzwerke auszudrücken, empfiehlt sich der Begriff "Kultur". sh. Folie: Parameter der kulturellen Welt aus ökologisch kommunikationstheoretischer Sicht |
7. | Kulturen lassen sich aus kommunikationswissenschaftlicher
Sicht, zweitens als komplexe informationsverarbeitende, sich selbst regulierende und sich selbst beschreibende Systeme auffassen. Dies entspricht dem epistemologischen Parameter. Um die strukturelle Komplexität, also die Typik kultureller Vernetzung zu erfassen, kann man sowohl auf Netzwerktheorien als auch auf die technische Informatik zurückgreifen. Kultur lässt sich in dieser Hinsicht als ein 'Makrocomputer', wie Konrad Zuse sagte, ein Relaisrechner, betrachten. |
8. | Drittens lassen sich Kulturen als Spiegelkabinette begreifen.
Alle Elemente stehen untereinander in vermittelten Wechselbeziehungen, finden untereinander Resonanz. Zur Beschreibung dieser Beziehung leistet die Ökologie wichtige Beiträge. Der ökologische Ansatz bietet zugleich ein gutes Gegengewicht zu den linearen Evolutionsmodellen, die die neuzeitliche Wissenschaft bevorzugt. Kulturen sind Ökosysteme, deren Elemente sich in Koevolution befinden. |