Fliesstext Soziale und psychische Spiegelungen

 

 
Das Spiegelungskonzept eignet sich nicht nur zur kommunikationstheoretischen Rekonstruktion von physikalischen und chemischen Vorgängen. Auch die Reproduktion von sozialen Systemen und die Beziehung zwischen ihnen läßt sich als Versuch interpretieren, redundante Muster zu erzeugen. Nationen überfallen andere, um sie zu missionieren, d. h. ähnliche ideologische u. a. Strukturen im fremden Land zu erzeugen wie sie im eigenen vorhanden sind.
Soziale Schichten und Generationen grenzen sich durch negative Spiegelungen ab: Sie machen in weiten Bereichen genau das Gegenteil der jeweils anderen Gruppe. Wenn Unternehmen fusionieren, müssen ähnliche Leitbilder und Strukturen erzeugt werden. Auch hier werden wieder psychische und andere soziale Systeme, z. B. Berater und Moderatoren, als Mittler/Katalysatoren gebraucht.
 
Auch viele Konzepte über psychische Veränderungen, wie z. B. das Lernen/Lehren oder gruppendynamische Assimilationen, lassen sich als Spiegelungsvorgänge noch einmal unter einer alternativen Perspektive betrachten: Immer geht es um die Angleichung von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Überzeugung.
Die Psychoanalyse hat mit der Ausarbeitung ihres Konzepts der ‚Übertragung' und des ‚Wiederholungszwanges' selbst den vielleicht bedeutendsten Beitrag zur Entwicklung eines informationstheoretischen Konzepts sozialpsychologischer Spiegelungen geleistet. Sie bezeichnet das Phänomen der negativen Spiegelung als Gegenabhängigkeit. Positive Spiegelungen werden als Übertragung bezeichnet. Sie führen zur ‚Abhängigkeit'. Praktisch keine der bedeutenden therapeutischen Richtungen kommt ohne eine Spiegelungstheorie in ihrer Behandlungslehre aus. Schon fast berüchtigt ist das Paraphrasieren von Klientenäußerungen in der Gesprächstherapie. Das ‚Pacing', welches in der Schule des Neurolinguistischen Programmierens vielfältig genutzt wird, habe ich schon angesprochen. In der Gestalttherapie geht es weniger um verbale als vielmehr um kinästhetische und emotionale Kongruenzen. Die Verhaltenstherapie könnte ihr Einwirken auf das Verhalten der Patienten gar nicht rechtfertigen, wenn sie nicht Spiegelungen zwischen diesem Verhalten und den psychischen Zuständen annähme.
Ebenso werden in der gartentherapeutischen Arbeit Identifikationen zwischen den Patienten und bestimmten Pflanzen und Formen der Gartenarbeit gefördert und zur Rehabilitation genutzt.
 
Spiegelung
Die alltägliche Beobachtung solcher u. a. Spiegelungen hat sich im Sprachgebrauch in Gestalt von Metaphern niedergeschlagen.
Wichtige Erlebnisse ‚graben' sich ein, Personen werden ‚entwurzelt', ‚gehen ein wie eine ‚Primel', ‚blühen auf', sind standhaft wie eine ‚Eiche' etc. Die Bedingung der Möglichkeit solcher vergleichender Bilder ist, daß die jeweilige Kultur Ähnlichkeit zwischen den Strukturen und/oder Prozessen in der Natur und bei den Menschen entdeckt.
Genauso lohnend wie eine Anwendung des Spiegelungskonzepts auf psychische Phänomene ist seine Anwendung in der Biologie und Biochemie. ‚Vererbung' beispielsweise bedeutet immer auch Spiegelung, mehr oder weniger vollständige Verdopplung von Strukturen zwischen Individuen gleicher Art. Züchtung beabsichtigt eine geregelte Wiederholung von Merkmalsbündeln. Chemische Reaktionen lassen sich nur in dem Maß vorhersagen, in dem sie einem Wiederholungszwang unterliegen. Man verfolgt die Metamorphose der Elemente und kann dabei die Reaktionsketten nur erkennen, weil eben einzelne Elemente oder deren Kombinationen erhalten bleiben. Auch auf der organischen Ebene bedarf es im übrigen Katalysatoren, um die Reaktion in Gang zu setzen: Erhitzen, Abkühlen, Druckveränderung, Hinzufügen anderer Elemente usf. Die Wahl der Katalysatoren bestimmt die Richtung der Veränderung der Merkmale der Medien.