Theoriediskussion Der selbstreferentielle Charakter von Kommunikation und die Axiomatik von P. Watzlawick et. al.
   

Die These, dass alle Kulturen und deren Subsysteme selbst bestimmen, was Kommunikation und was Information ist und ob ihre jeweilige Dynamik den Kriterien von Kommunikation oder Informationsverarbeitung entspricht, stellt im Einklang mit der Theorie selbstreferentieller Systeme, die in praktisch allen wissenschaftlichen Disziplinen gegenwärtig als Erklärungsgrundlage verwendet wird. Ob von Selbstorganisation, Autopoiese, Synergie o.ä. in Betriebswirtschaft, Biologie, Neurologie, Physik usf. die Rede ist, immer geht es darum, die Eigendynamik von Strukturbildungsprozessen hervorzuheben.
Sie steht im Gegensatz zur weitverbreiteten und von Paul Watzlawick, Jeanette Beavin und D.D. Jackson als 'Axiom' menschlicher Kommunikation formulierten Auffassung, man könne nicht nicht kommunizieren. [1]
Das pragmatische Axiom der Palo Alto-Gruppe schränkt die Selbstregulationskraft von psychischen und sozialen Systemen zugunsten der Definitionsmacht des außenstehenden wissenschaftlichen Betrachters ein. So lesen wir als Erläuterung des Axioms: "Der Mann im überfüllten Wartesaal, der vor sich auf den Boden starrt oder mit geschlossenen Augen dasitzt, teilt den anderen mit, dass er weder sprechen noch angesprochen werden will, und gewöhnlich reagieren seine Nachbarn richtig darauf, indem sie ihn in Ruhe lassen. Dies ist nicht weniger ein Kommunikationsaustausch als ein angeregtes Gespräch." (ebd. S. 51)
Mir mißfällt - vor jeder theoretischen Überlegung und jeder distanzierten empirischen Auseinandersetzung mit dem Axiom - die Mißachtung der Standpunkte und Perspektiven der beobachteten Personen. Wer gibt dem Wissenschaftler das Recht zu sagen, was für die Beteiligten in dieser sozialen Situation 'richtig' ist und was nicht?
Die Begründung findet sich letztlich in den Kommunikationsmodell.
Watzlawick, Beavin, Jackson leiten die Unabweisbarkeit und damit Wahrscheinlichkeit von Kommunikation aus der These 'Man kann sich nicht nicht verhalten' ab. Sie erklären Kommunikation damit praktisch zu einem Typus von 'Verhalten'. Ich sehe demgegenüber überhaupt keinen Bedarf für eine Kommunikationstheorie, wenn man Kommunikation als soziales Verhalten begreifen kann. Dann sollte eine Theorie des Verhaltens genügen.
(psychologische, sozialpsychologische, soziologische oder andere)

Nicht widersprechen will ich der Behauptung, dass wir als psychische und soziale Systeme beständig wahrnehmen, Informationen verarbeiten und uns verhalten. Man kann nicht nicht Informationen verarbeiten. Oder präziser:
Wenn man die Welt in informationstheretischer Einstellung betrachtet, dann kommen Menschen, Tiere, soziale und andere Systeme nicht umhin, Informationen zu verarbeiten oder - in medientheoretischer Perspektive - sie zu speichern. Der Kommunikationswissenschaftler, der ähnlich wie der Chemiker überall Moleküle sieht, überall Informationen erkennt, könnte abkürzend sagen: Menschen kommen nicht umhin, Informationen wahrzunehmen, zu verarbeiten, zu speichern und auszudrücken. Und viel mehr belegen die Untersuchungen, die Watzlawick et. al. zitieren auch nicht.
(Im strengen Sinne korrekt ist nur die Definition: Informationsverarbeitende Systeme können nicht nicht Informationen verarbeiten. Der Wissenschaftler als Informationssystem kann es entsprechend auch nicht.)


Dies.: Menschliche Kommunikation, Bern/Stuttgart/Wien, o. J., S. 50f