"Der Markt lässt sich verstehen als "demokratisches"
Modell eines Güteraustausches ("eine Mark = eine Stimme"),
der von den Rücksichten auf Stand und Klasse, Moral und Religion,
Familie und Freundschaft befreit und nach dem Prinzip "eine Person,
eine Stimme" (bei der Bildung des Preises) organisiert ist. Demokratie
lässt sich verstehen als Markt für politische Herrschaft, strukturiert
nach dem Prinzip "eine Person eine Stimme" (bei der Bildung
politischer Repräsentation). Auf diesem Markt konkurrieren "politische
Unternehmer" um Anteile an der Übertragung öffentlicher
Macht (Schumpeter). Tatsächlich hat die letztere Sichtweise zu einer
weitverzweigten und in Teilen überzogenen "Ökonomischen
Theorie der Demokratie" geführt.
Über diese Ähnlichkeit hinaus scheint mir die wichtigere Affinität
von Demokratie und Markt darin zu bestehen, dass es homologe Formen der
Koordination sind, die prinzipiell durch Selbstorganisation, Dezentralität,
verteilte Intelligenz, weitgehende Autonomie der Teilsysteme, inkrementale
Entscheidungsfindung, leichte Reversibilität der getroffenen Entscheidungen
und insbesondere durch formale Gleichheit der Entscheider/Nachfrager/Konsumenten/Wähler
gekennzeichnet sind. Zugleich sind beide Formen charakteristisch durch
Kurzfristigkeit der Entscheidungslogik, Diffusität der Verantwortlichkeit,
Anfälligkeit für Stimmungen, Moden, Trends und massenmediale
Werbung und insbesondere eine immanente, schwer kontrollierbare Selbstgefährdung
durch organisatorische Verdichtung und Marktmachtbildung, die das konstituierende
Prinzip des freien Wettbewerbs untergräbt." S. 41
"Sicherlich unterscheiden sich Demokratie und Markt als Steuerungsmodelle
für die Koordination komplexer sozialer Systeme. Vor allem, darauf
hat mich Fritz Scharpf in einem hilfreichen Kommentar hingewiesen, geht
es im Fall des Marktes um die individuelle Verfolgung individueller Zwecke,
während Demokratie die individuelle Partizipation an kollektiven
Entscheidungen über kollektive Ziele meint. Da mich hier Markt ebenso
wie Demokratie vorrangig als Modi der Systemsteuerung interessieren, betone
ich eher die Gemeinsamkeiten der Makro-Effekte beider Steuerungsformen.
Sie liegen in den systemischen Effekten einer dezentralen, verteilten
Koordination, die sich in beiden Fällen nicht in bloßer Aggregation
erschöpft, sondern in einer Transformation der unterliegenden Rationalität
- auch wenn sie in beiden Fällen "hinter dem Rücken der
Akteure" sich vollzieht. Beide Koordinationsformen erzeugen, wenn
es gut geht, aus der Interaktion rationaler Egoisten dann "public
virtues" (genauer: nicht beabsichtigte Kollektivgüter), wenn
erwartet werden kann, dass die Interaktionen sich kontinuierlich in eine
absehbare Zukunft fortsetzen werden (Axlrod/Koehane 1985)." S. 40
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