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Nicht-Kommunikation/ Die Notwendigkeit latenter Kommunikation |
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Der neben Marshall McLuhan wohl bedeutendste Kommunikationstheoretiker
dieses Jahrhunderts, Gregory Bateson, wandte sich in seinen letzten Lebensjahren
der Frage zu, ob es vielleicht Prozesse im Funktionsablauf aller lebendigen
Systeme von der Art gibt, "daß, wenn Nachrichten oder Informationen
von diesen Prozessen andere Teile des Systems erreichen, das Zusammenwirken
des Ganzen gelähmt oder unterbrochen wird?"[1] Es geht um den Sinn und die Notwendigkeit von Nichtkommunikation' zur Aufrechterhaltung von Kommunikationssystemen[2]. Diese Idee scheint ihm die Grundlage des Heiligen' zu sein. "Ich glaube", schreibt er in einem nachgelassenen, von seiner Tochter vervollständigten und herausgegebenen Werk, "daß dies eine sehr wichtige und bedeutsame Frage ist und daß es einer Nichtkommunkation bestimmter Art bedarf, wenn uns das "Heilige" erhalten bleiben soll. Kommunikation ist nicht aus Furcht unerwünscht, sondern weil Kommunikation die Natur der Ideen irgendwie verändern würde." (ebd. S. 118) Vor dem Hintergrund der von mir vorgeschlagenen Kommunikationskonzepte heißt Nichtkommunikation' in diesem Kontext: Verzicht auf |
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Vernetzung |
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Transformation von Informationen zwischen verschiedenen Medientypen |
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reflexive (verbale) soziale Informationsverarbeitung
einschließlich der Deutung von Spiegelungsphänomenen |
um dadurch vorhandene Systeme (unverändert) zu erhalten. Im sozialen Feld gibt es viele Beispiele dafür, daß die Verbalisierung von Erfahrungen, die Bewußtmachung z. B. von sozialen Strukturen, die Lüftung von Geheimnissen zum Zerfall der Kommunikationssysteme führt[3]. Die Systeme leben davon, daß Informationen nur auf einen bestimmten (unbewußten, nicht verbalen) Niveau emergieren. Glaube setzt in diesem Sinne Nicht-Wissen, Unsicherheit voraus. Die Tragödien, die die frühen griechischen Dichter besangen, nahmen häufig von der Lüftung von Geheimnissen ihren Ausgang, z. B. von der Aufdeckung inzestöser Beziehungen. Aber auch Nicht-Soziale-Informationssysteme sind darauf angewiesen, daß nicht alle Informationen an allen Orten des Systems vorhanden sind. Vor allem muß es Grenzen der Transformation der Informationen von einem Medientyp in den anderen geben - gerade um die eigentümliche Komplexitätsstruktur des Systems aufrecht zu erhalten. "Es ist anscheinend eine allgemeine Wahrheit in der Biologie, daß der Körper, der sich an die Belastungen und Wechselfälle der Erfahrung anpaßt, nicht mit der DNS kommuniziert, der Trägerin genetischer Instruktionen für die nächste Generation. Keine Nachricht von den Anpassungen des Körpers soll in der DNS festgehalten werden, um so die Nachkommenschaft zu beeinflussen. Es soll, wie der alte Ausdruck lautet, keine Vererbung erworbener Eigenschaften geben. Ähnlich ist es anscheinend notwendig, daß wir kein Wissen von den Prozessen besitzen, durch die unsere Wahrnehmungsbilder geformt werden. Sind diese zwei grundverschiedenen Verbote von Informationsübertragung miteinander vergleichbar? Und können sie mit den Arten notwendiger Nichtkommunikation [in sozialen Systemen] verglichen werden, die in Kapitel VII erörtert wurden? Meiner Ansicht nach würde, wenn es eine Kommunikation über die sogenannte Weismannsche Schranke hinweg gäbe, der ganze Evolutionsprozeß zusammenbrechen. Ähnlich könnten wir, wenn uns die Prozesse bewußt wären, mit denen wir geistige Bilder formen, ihnen nicht mehr als Grundlage des Handelns vertrauen. Es heißt, der Tausendfüßler konnte so lange problemslos gehen, bis ihn jemand fragte, welchen Fuß er zuerst vorsetzt." (a.a.O., S. 128) Evolution wäre undenkbar, wenn es eine vollständige Metamorphose zwischen den unterschiedlichen Emergenzniveaus der Information gäbe. Wir hätten dann nur Ersetzungen; die spezifischen Leistungsbereiche des ersetzten Informationsniveaus würde verloren gehen. Kommunikationsverzicht im Sinne von Verzicht auf Transformationen zwischen verschiedenen Medientypen ist eine Bedingung von Entwicklung und von Lernen. Bateson näherte sich diesem generellen Problem jeglicher Evolutionstheorie durch die Frage: "Wie würde das Ganze der Biologie aussehen, wenn die Vererbung erworbener Eigenschaften allgemein wäre? Welche Auswirkung hätte ein solcher hypothetischer Prozeß auf die biologische Evolution?" (a.a.O., S. 131) Seine Antwort: Mit der Weitergabe erworbener Eigenschaften würde "das einzelne Lebewesen seinen Nachkommen eine Rigidität aufbürgen, an der es selbst nicht litt. Es ist dieser Verlust der Flexibilität, der für den Gesamtprozeß tödlich wäre." (a.a.O., S. 133) Netzwerktheoretisch könnte man sagen: Je mehr Verschaltungen aufgebaut und festgelegt sind, desto geringer wird die Flexibilität des Systems, desto stärker nähert es sich einer trivialen Maschine. Dieses Problem beschäftigt im Augenblick auch die Organisations- und Institutionstheoretiker. Grundsätzlich kann man zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Evolution' von Organisationen unterscheiden. Die erste versucht die Strukturen zu flexibilisieren, eine lernende Organisation zu entwickeln. Stichworte sind Change Management' und Lernende Organisation'. Noch herrscht hier eher eine Betonung der positiven Seiten des Lernens vor. Die Kehrseite, die Paradoxie, daß Lernen nicht nur ein Beweis von Flexibilität sondern in gleichem Atemzug auch eine Einschränkung derselben nach sich zieht, wird wohl noch zu wenig berücksichtigt. Die zweite, bislang kaum propagierte, geht davon aus, daß es kein Naturrecht auf das Überleben einer einzelnen Organisation gibt und daß auch deren Lernfähigkeiten äußerst begrenzt sein müssen, damit sie überhaupt ihre kulturelle Funktion erfüllen können. (Vgl. K. Rappe-Giesecke/M. Giesecke: Werden und Vergehen von Organisationen - Die Begleitung der Auflösung von Organisationen als Aufgabe der Supervision. In: Supervision (demnächst) Ohne eine gründliche Auseinandersetzung mit diesen Risiken des Lernens wird auch eine Neubestimmung von Kirche und Theologie kaum gelingen. Der Verzicht auf Wissen, die positive Bewertung von Einfältigkeit' und von Demut' - als Sich-Fügen ohne Gründe - ist ja ein Grundzug nicht nur des Christentums. Die Aufklärung hat diese Bewertung niemals verstanden und deshalb auch nicht ernst genommen. Vor dem Hintergrund der hier angestellten Überlegungen gewinnt die Seligkeit der Einfältigen' eine klare Rechtfertigung. |
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[1] G.
Bateson/M. C. Bateson. Wo Engel zögern. Unterwegs zu einer Epistemologie
der Heiligen. Ffm 1993, S. 119 [2] "Mir geht es hier nur um die formalen Eigenschaften von Abfolgen, in denen eine Schädigung des Systems (A plus B) aus der Nachricht und/oder ihrer Kommunikation erwächst." a. a. O., S. 129 [3] Assmann: Geheimnis |