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Beucke-Galm: Prozessphasen im Dialog |
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"Ein Dialog ist ein Prozess in verschiedenen Phasen. Die Übergänge von einer Phase zur anderen sind fragil und werden als krisenhaft erlebt. Isaacs/Scharmer haben im Rahmen des Forschungsprojektes am MIT vier Phasen (politeness, breakdown, inquiry and flow) herausgearbeitet. Die erste Phase bezeichnen sie als die Phase der Höflichkeit (politeness; Scharmer nennt sie deutsch: „Harmoniesülze“). Diese Phase ist ein freundliches Miteinander, ein Herantasten und Testen. Die Mitglieder der Gruppe sind sich nicht sicher, wie sie ihre Teilnahme gestalten sollen. Es gibt ein breites Spektrum unausgesprochener Wahrnehmungen. Die TeilnehmerInnen hören sich gegenseitig zu und versuchen einander zu verstehen. Gegenseitige Höflichkeit prägt die Atmosphäre und gerade das löst die erste Krise aus. Isaacs/Scharmer nennen sie „Crisis of emptiness“ – die Angst vor der Leere. Es gibt (noch) kein Verständnis von der Gruppe als Einheit, der 'Container ist noch nicht haltend'. Die Teilnehmer müssen sich jetzt entscheiden, ob ihre eigenen Vorstellungen in Frage gestellt werden dürfen und sie sich auf damit entstehende Unsicherheiten einlassen können. Der Weg kann in zwei Richtungen gehen: Die auftauchenden Schwierigkeiten werden nicht gemeinsam untersucht und jeder bleibt bei seiner anfangs eingenommenen Position; oder man lässt die tiefer gehenden Fragen zu und bewegt sich in Richtung Dialog. Wenn diese Krise durchschritten werden kann, sehen die Teilnehmer, dass kein Argument, kein Beitrag die ganze Wahrheit enthält. Sie versuchen verschiedene Wege, um aus den Dilemmata herauszukommen. Sie wollen in einen Dialog kommen und erleben gleichzeitig, dass unterschiedliche Wertvorstellungen und Einschätzungen vorhanden sind. Bisherige Regeln und Normen geraten ins Wanken, neue Gruppenregeln sind noch nicht ausgehandelt. Das wird als Zusammenbruch (breakdown) erlebt. Hier entwickelt sich die zweite Krise, die Isaacs/Scharmer als „Crisis of suspension“ bezeichnen. Nicht der Kontext selber wird in Frage gestellt, die Inkohärenz im Denken ist schwer zu ertragen. Es ist das ganze Gestrüpp der Vorurteile und Unterstellungen, durch das die Gruppe sich durcharbeiten muss. Auch wenn es in dieser Krise so scheint, als könnte eine neue Qualität nicht gelingen, sollte man sie nicht überbewerten, sondern wissen, dass sie ein Teil des Weges ist. Jetzt ist der facilitator gefragt. Er hat die Aufgabe, die verschiedenen Meinungen oder Annahmen in der Schwebe zu halten und sie nicht 'aufzulösen'. |
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Abb. Modell des Dialogprozesses (Scharmer; nach: Isaacs 1999) Wenn eine Gruppe diese zweite Krise durchstanden hat,
beginnt das Gespräch zu fließen. Nun bewegt sich die Gruppe
zu neuen Fragen vor. Die Mitglieder erkunden ihr eigenes Denken und können
– auf leichte Weise – zu neuen Erkenntnissen vordringen. Diese
Phase wird von allen als besonders reich und gleichzeitig leicht erlebt.
Man kann sich kaum vorstellen, dass hierin auch gleichzeitig die Wurzel
der nächsten Krise enthalten ist. Die beginnt, wenn die Teilnehmer
sich der Abspaltungen, die sie in sich selber oder im Gruppenkontext vornehmen,
zunehmend bewusster werden. Isaacs/Scharmer benutzen dafür die Metapher
'Schmerz in den bisher untrainierten kognitiven und emotionalen Muskeln'
und nennen sie „Crisis of fragmentation“. Diese Krise ist
besonders tief. Danach aber gelingt den Gruppen eine neue, nie gekannte
Kreativität. Die Teilnehmer experimentieren, das Denken nimmt eine
andere Qualität, einen anderen Rhythmus an. Jetzt entsteht das, was
Csikszentmihaly und Isaacs als flow bezeichnen. Die Gruppe kann jetzt
auch miteinander schweigen und spürt die Fülle eines gemeinsamen
Bewusstseins und der gewonnenen Kohärenz. Aus dieser Phase gilt es,
wieder in die 'alltägliche Welt' einzutreten. Dieser Übergang
ist die „Crisis of re-entry“. Nach der Dialogerfahrung sieht
man die alte Welt mit neuen Augen – das ist Krise und Herausforderung
zugleich. |
Mechthild Beucke-Galm: Über die Bedeutung von Dialog in der lernenden Organisation ‘Schule’. In: dies. Fatzer, Rutrecht (Hrsg.): Schulentwicklung als Organisationsentwicklung. EHP Verlag Köln 1999. S. 235-262. |
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