„In diesem Teil der Erörterung wird zunächst einmal von
der Grundannahme ausgegangen, dass sich der Dialog als gemeinsame
Wahrheitssuche im Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern
auszeichnet (vgl. Gebert/Boerner 1995, S. 286f), da es nicht
'die' von vornherein (monologisch) festgelegte und allgemeingültige
Wahrheit i.S. eines 'one-best-way' (mehr) geben kann.
Bezogen auf das Management, bedeutet dies konkret,
das Wagnis einzugehen, zunächst einmal im organisationalen
Kontext im Sinne des Mentorenmodells Dialoge als animierender (Lern-)Partner
und Katalysator zu führen. Auf diese Weise können auf
Mitarbeiter- und Teamebene Selbstbewusstsein, Urteilsfähigkeit, Leistungs-
und Innovationsbereitschaft sowie die „Entfaltung schöpferischer
Kräfte auf allen Ebenen“ (Jantsch 1980, S. 57) ermöglicht
und dementsprechend Raum dafür gegeben werden, sich im gesamten Kontext
stärker Tugenden wie Kreativität, Querdenken, Spontanität
und Risikofreudigkeit zuzuwenden.
Hieraus ergibt sich, dass - wie oben im Mitverantwortungs-
bzw. Mentorenmodell vorgeschlagen - Manager und Mitarbeiter als (zumindest
prinzipiell) gleichberechtigte Wahrheitsquellen anzusehen sind
und hierzu den aktuellen Wissensstand ständig hinterfragen
und verändern müssen.
Als Voraussetzung hierfür lassen sich nennen:
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1. |
Die (für die Problemlösung wichtigen)
Mitarbeiter werden über das jeweilige Problem und diesbezügliche
Lösungsalternativen aufgeklärt, um sich an der Lösungsfindung
zu beteiligen. |
2. |
Ein Austausch der beiderseitigen Perspektiven
ist möglich und wird von allen Beteiligten als für die Problemlösung
notwendig und weiterführend angesehen. |
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Hierbei gilt es zu bedenken, daß eine derartige Qualität des
Dialoges eben nicht möglich wäre, wenn die Mitarbeiter
aufgrund beibehaltener „Machtasymmetrien“ (s. Lehnhoff 1997,
auch Spandau 2000) befürchten müssten, dass Einwände gegenüber
den Vorstellungen der Führungskräfte mit Missbilligungen, Abmahnungen,
Nichtbeförderungen oder gar Entlassungen sanktioniert werden, weil
die sich möglicherweise in ihrer Autorität und Kompetenz bedroht
fühlen. Folglich darf sich dann auch nicht die Abhängigkeit
der Mitarbeiter dermaßen darstellen, dass sie sich nicht mehr dazu
in der Lage sehen, eigene Vorschläge zu entwickeln und zu vertreten,
weil sie sich mehr oder weniger als „Sprachrohre“ ihrer Führungskräfte
verstehen und dementsprechend denken und handeln.
Jede Öffnung zu einem Dialog ist nämlich
zweifellos sowohl seitens der Führungskräfte als auch der Mitarbeiter
immer mit einem Risiko verbunden, das Wagnis bezüglich der
Verlässlichkeit des Partners eingehen zu müssen. Diese
Verlässlichkeit lässt sich oftmals gar nicht anders
als durch Vertrauen auf die Ehrenhaftigkeit und den
guten Willen zur Sicherstellung des gemeinsamen Wohles
absichern. Sonst wäre nämlich eine weitere partnerschaftlich-dialogische
Beziehung nicht mehr möglich.
Dialog und dessen Voraussetzungen Vertrauen und Verläßlichkeit
basieren auf einem Konsens, sprich: aus einer allgemeinen Überzeugung
von der gegenseitigen Abhängigkeit, in der sich die Dialogpartner
befinden. Hierbei wird sowohl auf der Seite der Mitarbeiter ein gewisses
Maß an Zivilcourage, als wichtige Eigenschaft, im Sinne
des Mentorenmodells reflexiv-eigenständig politisch denken und
handeln zu können, verlangt, dementsprechend klar seine Ansichten
zur Problemlösung zu äußern, als auch auf der Seite der
Vorgesetzten ebenfalls die reflexiv-eigenständige Kompetenz, mit
Argumenten von unten konstruktiv-kritisch umzugehen. Genauso
wie die Mitarbeiter mit der Zeit lernen müssen, daß sie ihre
Verbesserungsvorschläge wagen können, obliegt es ihren Führungskräften,
selber akzeptieren zu lernen, dass die Mitarbeiter als Quelle
guter Ideen für eine gemeinsame Weiterentwicklung anzusehen
sind, und daß daraus nicht eine irgendwie geartete Bedrohung
entsteht.(1)
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Frage, welche
konkreten Anforderungen an einen konstruktiv-kritischen Dialog im
organisationalen Kontext genau zu stellen sind. Um diesbezüglich
eine Antwort zur Diskussion stellen zu können, galt es, die oben
angesprochenen Anregungen aus den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen
und -traditionen zu verarbeiten und folgende Ansprüche in Gestalt
eines 'Dialog-Dekalogs' zu formulieren.
Hierbei gilt es im Vorfeld dieses Dekalogs zu betonen, dass der
Dialog als Entwicklungsfeld zu betrachten ist und mehr
als eine 'bloße Methode der Kommunikation' darstellt:
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1. |
Im allgemeinen: Der Dialog
ist eine lernbare Disziplin und wird nicht als bloßes
'Miteinander reden' bzw. als beliebige Diskussion oder Meinungsaustausch
angesehen. Die Absicht des Dialogs ist es, mit dem oder den Partner(n)
ein gemeinsames Verständnis zu erreichen und über
die Grundlagen des Denkens zu reflektieren. Der Dialog ist kein Selbstzweck,
sondern hat die Steigerung der Problemlösungsfähigkeit und
die Zukunftssicherung von Menschen, Organisationen und ihrer mit handlungslogischem
Eigensinn versehenen Umwelt als Ziel. Der Dialog stellt generell
ein die Beteiligten mit gegenseitig befruchtenden neuen Erkenntnissen
und Erfahrungen belohnendes Gespräch dar. |
2. |
Im besonderen: Durch einen
sanktionsfreien-offenen Dialog gilt es dabei, das bisherige organisationale
Miteinander und den Umgang der Organisation mit der Außenwelt
zu hinterfragen und zu verbessern, um auf diese Weise ein vernünftige(re)s
Entscheiden und Handeln zu ermöglichen und auszugestalten. |
3. |
Der Dialog von (tendenziell gleichberechtigten)
Partnern ist geprägt von der beiderseits empfundenen Vielschichtigkeit,
Fragmentierung, Zerstrittenheit einerseits und dem Bemühen
um Vertrauen und Verlässlichkeit andererseits. |
4. |
Hierbei kann der Dialog dazu führen,
dass im interaktiven Miteinander durch den freien Fluss von Gedanken
und Gefühlen der (möglichen) Wahrheit schrittweise entgegengekommen
wird. |
5. |
Wahrheit(sfindung) ist aber nicht als
Endziel des Dialogs anzusehen, sondern es gilt vielmehr anzuerkennen,
dass der Dialog einen bewusst temporären und prozesshaften
Charakter aufweist. |
6. |
Dialoge im Zeichen tiefgreifender Wandlungsprozesse
können nur durch aktives Zuhören und die gegenseitige Anerkennung
ausgelöst werden, wobei erst ein gemeinsames Handeln und
Reflektieren eine beidseitig empfundene Wahrhaftigkeit ermöglicht
(vgl. dazu auch Roszak 1979, S. 28). |
7. |
Dialog bedeutet nicht, über die Probleme
in der Welt 'da draußen' zu lamentieren, sondern zu erkennen,
dass die Welt ständiger Bestandteil des Dialoges ist (vgl.
Lenssen 1995 [sic!]; S. 349). |
8. |
An einem Dialog mitzuwirken, bedeutet
zu erkennen, dass Wahrhaftigkeit und Vertrauen nur im gemeinsamen
Handeln, Reflektieren und Bemühen um das gemeinsame Wohl
entstehen kann. |
9. |
Dialog bedeutet auch, die eigene Unvollkommenheit
und die des Partners akzeptieren zu lernen und als ständige Lernaufgabe
anzusehen. Die 'Fehler von einst' ständig vorzuhalten, dürfte
die Dialogbereitschaft zum Erliegen bringen. |
10. |
Die Teilnahme am Dialog erfordert von
jedem Partner Authentizität und Selbstakzeptanz bzw. Selbstliebe
und 'kritische Bescheidenheit' (s. Geißler 1996, 1997).
Nur auf diese Weise kann auch dem Partner begegnet werden. |
|
Dieser 'Dialog-Dekalog' hat sowohl für die Ausgestaltung des organisationalen
Miteinanders als auch für die Beziehung zur Außenwelt den gleichen
kontrafaktisch-normativ-regulativen Charakter.
Um insbesondere die Auswirkungen dieses Dialog-Dekalogs
in bezug auf ausgewählte typische Problemstellungen aus dem unternehmerischen
Alltag aufzuzeigen, liegt es nahe, die Unterschiede zwischen einem traditionellen
Fragen und einer dialogischen Behandlung von Herausforderungen herauszuarbeiten,
wobei auch hier bewusst eine 'Schwarz-Weiß-Unterscheidung' gewählt
wird:
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Organisationales Problem |
Traditionelle Fragestellung |
Dialogische Fragestellungen |
Verschlechterung der Kundenbindung |
Welche Vertriebstechniken sollen verbessert werden? |
Inwieweit bin ich oder sind wir Teil des Problems? |
Absatzrücklauf |
Welche Werbemittel sollen eingesetzt werden? |
Wo verlieren wir Anziehungskraft? |
Unser Personal wird als unfreundlich wahrgenommen |
Welche Incentive-Programme können helfen, von wem
müssen wir uns trennen? |
Was strahlen wir (oder ich) als Management aus? |
Geschäftsabläufe sind unkoordiniert |
Welche Richtlinien sind zu aktualisieren? |
Wie hängt das mit uns zusammen? |
Die Kosten sind unverhältnismäßig
stark gestiegen |
Wo können wir einsparen? |
Folgen wir wirklich dem kürzesten Weg zu Mehrwert
im Team? |
Rendite auf Anlagekapital ist rückläufig |
Diverse investitionspolitische Maßnahmen |
Was können wir selbst tun, damit eine bewusstere
Beziehung zwischen der materiellen Struktur und den Menschen entsteht? |
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(1) Vor
diesem Hintergrund sind beispielsweise Zielvorgaben für die Organisation
'sinnvoll' aus dem allgemeinen Wandlungsprozess heraus zu formulieren.
Hierbei ist eine sinnvolle Zielvorgabe jene, die die Zustimmung eines
Großteils der Mitarbeiter erhält (s.o. zum grundsätzlichen
Potenzial des Führungsmodells MbO)
Literaturangabe:
Benner, D.: Allgemeine Pädagogik. 2. Auflage. München
1991
Gebert, D./ Boerner, S.: Manager im Dilemma. Frankfurt
1995
Geißler, H.: Sinnmodelle des Managments: Vom Handwerker-
über das Gärtner- zum Mitverantwortungsmodell. In: Geißler,
H./Krahmann-Baumann, B./Lehnhoff, A. (Hg.): Umdenken im Managemtent des
Umdenkens. Frankfurt 1996.
Geißler, H. (Hg.): Unternehmensethik, Managementverantwortung
und Weiterbildung. Neuwied 1997.
Jantsch, E.: Die Grenzen westlicher Rationalität,
Frankfurt 1980
Lehnhoff, A.: Vom Mangement Development zur Managementbildung.
Frankfurt a. Main 1997.
Lenssen, G.: Besinnung in der Wirtschaft. In: Matheis,
R. (Hg.): Leadership Revolution. Frankfurt a. Main 1996.
Spandau, U.: Mächtige Kommunikation im Organisationslernen.
Dissertation. Hamburg/München 2000.
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