Um seine gesamtgesellschaftliche Funktion zu erfüllen
musste das Gespräch in den einfachen Kulturen normiert werden - und
zwar in einer Weise, die durchaus jener Standardisierung ähnelt,
die wir gegenwärtig bei allen Formen der technisierten Kommunikation
beobachten. Diese Form der Normierung wird in der historischen und ethnographischen
Literatur meist 'Ritualisierung'
genannt. Tanz, Mimik, Gestik, Gesang und die lautsprachlichen Äußerungen
sind ritualisiert. D.h., sobald bestimmte soziale Situationen identifiziert
sind, werden die Beteiligten zu Akteuren mit einem bestimmten Rollenrepertoire
und die Interaktion folgt einem historisch ausgearbeiteten und sozial
kontrolliertem Schema. Man sagt nicht irgendetwas sondern das, was die
ritualisierte Interaktion erfordert und man typisiert sich auch nicht
nach freiem Willen und tauscht je nach Lust und Laune die Rollen sondern
man nimmt jene Positionen ein, die man auf Grund seines Alters, seines
Geschlechts und bestimmter, ebenfalls durch Riten (z. B. durch Initiationen)
bekräftigten Funktionen in der betreffenden Kultur zugewiesen bekommen
hat.
Das Kriterium für die Glaubwürdigkeit einer
Aussage ist die Person mit ihrer Stellung innerhalb der Stammesorganisation.
Es gibt keine personenunabhängigen Wahrheiten. Insbesondere das Alter
(und Geschlecht) der Person und die durch Riten vollzogenen Statuspassagen
(Länge ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe) sind hier von Bedeutung.
Diese Personen kontrollieren (im Auftrag des Stammes), welches Wissen
an wen weitergegeben werden darf. Es darf nicht zu vielen weitergegeben
werden. In der Regel werden Novizen herangezogen, damit das Wissen des
Stammes nicht verloren geht, vor allem das Wissen um die latenten Strukturen
und Regeln. Wird Wissen überhaupt nach Außen hin an andere
Stämme veröffentlicht, fehlen oft die wesentlichen Teilen.
Diese hochgradige Normierung gilt auch für alle Formen der sozialen
Informationsverarbeitung.
Das Kriterium für die Glaubwürdigkeit einer
Aussage ist die Person mit ihrer Stellung innerhalb der Stammesorganisation.
Es gibt keine personenunabhängigen Wahrheiten. Insbesondere das Alter
(und Geschlecht) der Person und die durch Riten vollzogenen Statuspassagen
(Länge ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe) sind hier von Bedeutung.
Diese Personen kontrollieren (im Auftrag des Stammes), welches Wissen
an wen weitergegeben werden darf. Es darf nicht zu vielen weitergegeben
werden. In der Regel werden Novizen herangezogen, damit das Wissen des
Stammes nicht verloren geht, vor allem das Wissen um die latenten Strukturen
und Regeln. Wird Wissen überhaupt nach Außen hin an andere
Stämme veröffentlicht, fehlen oft die wesentlichen Teilen.
Ein solches Verhalten ist vernünftig - solange es
keine anderen Möglichkeiten gibt, kulturelles Wissen zu bewahren
und als Regulativ für das soziale Miteinander zu nutzen. Wenn die
Lieder, die den Rhythmus des Arbeitens koordinieren und/oder Mythen tradieren,
nicht mehr gesungen würden, wenn alle Glieder des arbeitenden Kollektivs
es verlernt haben, ihr Handeln aufeinander abzustimmen, so bedeutete dies
in einer schriftlosen und nicht mit Tonaufzeichnungsgeräten ausgestatteten
Kultur, dass wichtige Informationen für die nächste Generation
verlorengegangen wären. Die Generation, die den Rhythmus des Gesanges
eigentlich nicht mehr braucht, um ihre Aufgaben zu erfüllen, hätte
zwar in diesem Fall mehr Freiheit, z.B. für Gespräche gewonnen,
aber die nachfolgende Generation wäre der kulturellen Errungenschaft
des Gesangs als Mittel der Arbeitsorganisation verlustig gegangen. Sie
müssten es im günstigsten Fall neu erfinden - im ungünstigen
Fall würde sich dabei das Mehrprodukt soweit verringern, dass Einzelne
verhungern. Um dieses Risiko zu meiden, wird das Singen zum Ritual, welches
auch dann vollzogen wird, wenn es im konkreten Fall für die Beteiligten
gar nicht mehr notwendig ist. Und die Ritualisierung entzieht den Interaktionsbeteiligten
auch die Möglichkeit, Gespräche entsprechend der individuellen
Bedürfnisse zu gestalten.
Entritualisierung der Kommunikation
Soziologisch betrachtet tendiert alles menschliche Verhalten in einfachen
Kulturen dazu, sozial organisiert zu werden. Rituelle Interaktion vollzieht
sich in organisierten Sozialsystemen. Einfache Sozialsysteme, die der
Befriedigung der psychischen Bedürfnisse der beteiligten Personen
dienen und in denen der Gang der Interaktionen und die dabei einzunehmenden
Rollen jeweils ad hoc ausgehandelt werden, nehmen in den nicht technisierten
Kulturen einen ungleich geringeren Raum ein - jedenfalls solange kein
Überfluss herrscht. So betrachtet, ist es ganz einseitig, die Entwicklung
unserer modernen Gesellschaft nur als einen Prozess zunehmender Institutionalisierung
und Bürokratisierung zu begreifen: Die viel zu wenig als solche betrachtete
Kehrseite ist die Entritualisierung der sogenannten Alltagskommunikation,
die relative Zunahme einfacher Sozialsysteme auf Kosten der organisierten.
Kommunikationstheoretisch betrachtet gewinnt das Gespräch, so wie
wir es heute kennen, an Raum.
Technisierung als Voraussetzung der Dialogisierung der Kommunikation
Eine Voraussetzung für die Entritualisierung der face- to- face-
Kommunikation ist die Zunahme technischer Informations- und Kommunikationsmedien.
Die Technisierung entlastet die sozialen Systeme von gesellschaftlich
notwendiger Informationsverarbeitung, -speicherung und -weitergabe. Der
Sozialkontakt braucht nicht immer sogleich Funktionen als Teil eines gesellschaftlichen
Kommunikationsnetzes wahrzunehmen; die Gespräche brauchen nicht immer
zur Lösung von übergeordneten Aufgaben gesellschaftlicher Informationsverarbeitung
genutzt zu werden und die psychischen Systeme der Menschen brauchen nicht
mehr als das vorrangige und für zahlreiche Informationstypen einzige
Gedächtnis der Gesellschaft in Anspruch genommen zu werden. Dies
alles ermöglichte es, vermehrt soziale Kommunikationssysteme einzurichten
die eben nicht für andere, sondern für die psychischen Systeme
der Beteiligten Leistungen erbringen.
Die Soziologen bezeichnen eben solche Kommunikationssysteme als 'einfache
Sozialsysteme'. Gesellschaftliche und private Kommunikation differenzieren
sich aus. - Mit allen bekannten Nachteilen der Zunahme von eigennützigen
Denken und dem Verlust an Bindungskraft staatlicher Normen.
Einfache Sozialsysteme in diesem Sinne dürfte
es zwar in der Kulturgeschichte immer schon gegeben haben, aber sie nahmen
keinen so breiten Raum ein. Erst recht die Professionalisierung dieser
Gattung zu selbstreflexiven Kooperationsformen, wie sie sich in den verschiedenen
Therapieschulen seit gut 100 Jahren vollzieht, ist eine innovative Leistung.
Die Entritualisierung der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht bedeutet
nicht, dass nun die Verständigung einfacher würde. Wenn die
Gesprächspartner die Möglichkeit haben, die Regeln der Kommunikation
selbst festzulegen und sie Zug für Zug im Gespräch so auszuhandeln,
wie sie für die Befriedigung der Bedürfnisse der Beteiligten
am günstigsten sind, so verlangt dies von ihnen Kreativität
und selbstreflexive Aufmerksamkeit. Natürlich gibt es auch für
diese Aushandlungsprozesse Normen - aber sie wirken eben nicht über
so lange Zeiträume, so weiträumig wie jene Ordnungsstrukturen,
die für die ritualisierte Kommunikation bzw. für die organisierten
Sozialsysteme typisch sind. Es geht also nicht um den Gegensatz zwischen
programmgesteuert und nicht programmgesteuert oder normiert und nicht
normiert, sondern es geht um unterschiedliche Typen von Programmen oder
Normen. Die Normen der Rituale und der organisierten Sozialsysteme sind,
wie dies die Institutionssoziologie herausgearbeitet hat, historisch geworden
und kontrafaktisch stabilisiert. Da sie der Erhaltung der Gesamtgesellschaft
dienen, können sie auch nur von dieser außer Kraft gesetzt
werden. Abweichungen in konkreten Gesprächen werden als Abweichungen
behandelt und führen nicht dazu, dass sich neue Programme etablieren.
Das ist nun in den einfachen Sozialsystemen ganz anders. Hier können
die Beteiligten experimentieren und immer wieder neue Regeln erarbeiten,
an die sie sich selbst solange halten, wie es ihnen günstig erscheint.
Selbstverständlich greifen sie dabei auf etablierte Programme zurück,
aber diese geben nur die Folie für ihre konkrete Interaktion ab.
Vor allem können in den Dialogen zugleich mehrere- sich teilweise
widersprechende- Programme parallel die Kommunikation steuern. Die verstärkt
die Flexibilität von Gesprächssystemen, in dem es ihnen die
Möglichkeit eröffnet, je nach den anstehenden Aufgaben bzw.
zur Bewältigung von Krisen mal das eine und mal das andere Programm
zu nutzen.
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