Fliesstext Die Integration der Medienvielfalt durch das Gespräch

 

 
Bislang lief die Technisierung unserer Kultur vor allem auf Differenzierung der Sinne und Medien und damit auf eine Einschränkung der Multimedialität hinaus. Die wirklich großen medienhistorischen Errungenschaften, Alphabetschrift, Buchdruck und jetzt die elektronischen Vernetzungen unterschiedlicher Informationssysteme, sind typischerweise Ausnahmen von dieser Regel. Sie integrieren Akustisches und Visuelles.
 
Fliesstext

 
Die Bedeutung der Verwendung von phonetischen Schriftsystemen liegt, um ein wichtiges frühes Integrationsbeispiel zu nennen, darin, daß hiermit zwei durch die kulturelle Entwicklung schon stark ausdifferenzierte und damit auch voneinander getrennte Erlebens- und Verhaltensformen, Sehen und 'Schreiben' bzw. Hören und Artikulieren wieder näher zusammengeführt werden. Es ist ein Akt der Integration, der freilich, was in der Literatur meist übersehen wird, auf der Basis der Oralität stattfindet.


Wirklich multimedial ist von Anbeginn der Menschheit nur eine Kommunikationssituation, das unmittelbare Gespräch von Angesicht zu Angesicht zwischen zwei oder mehreren Menschen. Diese Kommunikation ist immer multisensoriell, multimedial und sie bedient sich auch vieler unterschiedlicher Effektoren. Sie ist deshalb die einzige Instanz, die die Vielfalt an Informationen, die für die menschliche Kultur wichtig sind, wieder zusammenfassen kann. Dieses soziale informationsverarbeitende System hat allein die erforderliche Komplexität, um die unterschiedlichen Informationstypen wieder zusammenzuführen und ineinander zu übersetzen.
Seine Bedeutung als Integrationsinstanz wächst in dem Maße, in dem durch die Technisierung monomediale Informations- und Kommunikationssysteme entstanden sind. Es verhält sich auf dem Felde der Informationsverarbeitung genauso wie mit jeglicher Arbeitsteilung. Je mehr sie vorangetrieben wird, umso stärker wird der Aufwand und die Notwendigkeit, sie wieder zusammenzuführen. Ab einem bestimmten Punkt zahlt sich Differenzierung überhaupt nicht mehr aus, weil der Planungs- und Integrationsaufwand zu groß wird und dieser Punkt scheint auf dem Felder der Informationsverarbeitung schon vielfach erreicht.
Mit der Spezialisierung der Informationsverarbeitung und der technischen Ausdifferenzierung der Medien ist ein Verlust des Gefühls für die rechten Proportionen zwischen den Sinnen und Prozessen einhergegangen. Ähnlich wie die Gelehrten in der Renaissance das ausgehende Mittelalter als eine Zeit kritisierten, in der die Harmonie verlorengegangen ist, so wird auch jetzt der Ruf nach einer Aufhebung von Vereinseitigungen laut. Das Stichwort ist gegenwärtig Ganzheitlichkeit oder - im wissenschaftlichen Kontext - systemisches Herangehen. Damals ging es um die 'wahren Proportionen', und vor allem der Kunst kann die Aufgabe zu, in diese Richtung neue Maßstäbe zu setzen. Genauso wie damals der Mensch zum Maßstab und zur Integrationsinstanz gemacht wurde, so könnte dies jetzt das dialogische Gespräch sein. Möglicherweise wird nicht das Zweiergespräch, sondern das Gruppengespräch die paradigmatische Rolle einnehmen.
 
(Gruppendynamiker wie K. Lewin haben dies schon vor 50 Jahren betont und sich damit von der eher unter Philosophen und Soziologen z.B. A. Schütz verbreiteten These abgesetzt, das Zweiergespräch sei die kommunikative Grundsituation, die ideale Gesprächssituation.)

Möglicherweise ist die dyadische Kommunikation schon eine Spezialisierung sozialer Informationsverarbeitung.
Dies soll natürlich nicht heißen, daß Technisierungen in den nächsten Jahrzehnten aufhören werden.
Gerade die neuen technischen Medien ermöglichen erstmals in der Weltgeschichte eine zumindest teilweise Technisierung des Gesprächs unter Beibehaltung ihrer Spezifik: Rückkopplungsintensität, Multimedialität, Simultanität.

Je mehr sich unsere Gesellschaft mit den Anforderungen den nächsten Jahrhunderts auseinandersetzt, desto mehr wird sie nach einer oder wahrscheinlich nach mehreren Erkenntnis- und Kommunikationstheorien suchen müssen, die nicht bloß zum Verständnis monomedialer und hierarchischer, sondern eben auch von multimedialer und interaktiver Informationsverarbeitung beitragen. Und sie wird im nächsten Schritt die Disproportionen in unserer Informationsverarbeitung und Kommunikation ausgleichen. Für beide Aufgaben ist die Orientierung am Dialog eine zeitgemäße medienpolitische Schwerpunktsetzung.