Theoriefaden Rollen der Verlage im Informationszeitalter

 

 

Organisation der Wissensbasis der Gesellschaft
 
Mittlerweile sind alle Verlage dazu übergegangen, die Manuskripte ihrer Autoren elektronisch zu erfassen - wenn sie nicht sogar schon von vornherein nur Disketten annehmen. Der Sinn dieser Veränderung lag bislang lediglich darin, die Buchproduktion zu vereinfachen, um sich moderner Druckverfahren bedienen zu können.[1] Der Nachdruck, Korrekturen bei späteren Auflagen, die Ein- und Umordnung von Vorlagen in verschiedenen Reihen und Formate u.v.a.m. werden erleichtert.

Mit der elektronischen Erfassung ihres Programms besitzen die Verlage aber zugleich auch einen Wissensspeicher, dessen Breite nur von wenigen Datenbanken erreicht wird. Eine geeignete elektronische Speicherform vorausgesetzt, die technisch zwar aufwendig aber durchaus machbar ist, wären prinzipiell alle in den Büchern gespeicherte Informationen für individuelle Benutzer oder Benutzergruppen zugänglich. Die Daten könnten beliebig miteinander verglichen, unter Suchbegriffen aufgelistet, neu miteinander verknüpft werden, usf..
Im Gegensatz zu den Buchexemplaren wäre/ist diese Datenbank schon von vornherein soziales Wissen - eben das Wissen aller Autoren.
Schon für eine solche bloße Akkumulation im Prinzip schon geschriebener Informationen lassen sich zahlreiche Anwendungen denken: (Vgl. etwa)
 

Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.) 1996: Die unendliche Bibliothek: digitale Information in Wissenschaft, Verlag und Bibliothek. Wiesbaden: Harrossowitz.
Guay, Tim 1995: WEB Publishing Paradigms. Internet-Adresse: http://hoshi.cic.sfu.ca/guay/Paradigm.html (1998)
Klostermann, Vittorio E. (Hg.) 1997: Verlegen im Netz. Zur Diskussion um die Zukunft des wissenschaftlichen Buches. Frankfurt a. M.: Klostermann.
  Aktualisiert unter der Adresse: http://home.T-Online.de/home/Vittorio.Klostermann/
intro_01.htm
  Kuhlen, Rainer (Hg.) 1996: Informationsmarkt: Chancen und Risiken der Kommerzialisierung von Wissen (Schriften zur Informationswissenschaft 15) 2. Aufl. Konstanz UVK.
Zukunftsmarkt: Elektronische Publikationen. Ausführlicher Tabellenband. Hg. vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Abt. Marktforschung. Konzept u. Redaktion: Eva Martin u. Uwe Matzner. Frankfurt a. M.: Buchhändler-Vereinigung 1997.
 
Da viele dieser neu geordneten Informationen und die Produkte von deren Analyse und Synthese auch wieder gedruckt werden, ergeben sich auch neue Anforderungen/Möglichkeiten für die Druckindustrie. (Print on demand)

Aus ökonomischer Perspektive ist es unklug, keine solche Doppelnutzung der elektronisch gespeicherten Manuskriptinformationen vorzunehmen.

Aus informationstheoretischer Perspektive eröffnen sich den Verlagen mit der Realisierung dieser Möglichkeit nicht nur neue wirtschaftliche Chancen sondern sie erhalten auch eine zentrale Vermittlerrolle in der Informationsgesellschaft. Die Verlage erhalten zusätzlich auch im elektronischen Medienverbund eine Schlüsselstellung bei der Schaffung, Verwaltung und Verbreitung der Wissensbasis der Gesellschaften.

Um in diese Rolle hineinzuwachsen bedarf es allerdings einer ganzen Reihe von organisatorischen Vorkehrungen, die tiefgreifende Auswirkungen auch für die typographischen Produkte und auf das Verhältnis zwischen Autoren und dem Verleger nach sich ziehen werden: Damit die Datenmenge der Manuskripte aufgeschlossen werden kann, muß sie in geeigneter Form unterteilt und durch Schlagworte kategorisiert werden. Eine Möglichkeit wäre hier z. B. eine Modularisierung, die den Befehl ermöglicht: Suche aus den Disziplinen Biologie, Ökologie, Psychologie, Soziologie (XY) alle Beträge die das Verhältnis Mensch-Pflanze [Garten - Rose; Kind - Pflanze; Unternehmen Azerkakultur etc.] beschreiben! Durch Spezifizierungen läßt sich die Suchgenauigkeit erhöhen, die Textmenge reduzieren.

Nach einigen Jahren (Jahrzehnten) der Arbeit mit solchen Programmen werden sich Schlüsselbegriffe und neuartige Prinzipien der Textgestaltung herausbilden, die von den Autoren berücksichtigt werden können. Man kann zum besseren Verständnis in Erinnerung rufen, daß die Einführung von Buchtiteln, Überschriften, Kapitel- und Absatzgliederung in der frühen Neuzeit ja auch eine Antwort auf die Notwendigkeit gewesen ist, die typographische Datenbasis für die Leser aufzuschließen, die Informationsentnahme zu erleichtern, den Bibliotheken zu einem klaren Ordnungsprinzip zu verhelfen. Das damals gefundene, keineswegs selbstverständliche Prinzip lautet bekanntlich: Autoren, Titel, Erscheinungsdaten und ort. Für einen benutzerfreundlichen Zugriff im elektronischen Medium werden sich andere Ordnungsprinzipien herausbilden. Vor allen reicht die bloße Etikettierung des Gesamtwerks nicht mehr aus. Es müssen sozial normierte Binnengliederungsprinzipien (u.a. eben Module) geschaffen werden. Diese in Dialog zwischen Nutzen und Autoren zu entwickeln, könnte eine bedeutende Aufgabe der Verlage und Bibliotheken werden.

Verlage als Ordnungs- und Qualitätssicherunginstanz im Internet
 
Ich bin skeptisch, daß sich diese Aufgabe in reiner Selbstorganisation im Internet lösen läßt. Natürlich werden Autoren ohne jeden Umweg über den Verlag als Speicher und Dispatcher ihre Aufsätze voröffentlichen. Aber schon jetzt zeigt sich, daß das Netz die Benutzer mit längeren Texten überfordert sind und daß vor allem die Komplexität des Angebots steigt, ohne daß zugleich auch die Ordnungsmittel im gleichen Umfang wachsen. Man wird in das Netz besser auch Knoten einbauen, die eine strukturierende Funktion erfüllen können. Für zahlreiche Zwecke wird sich ein unmittelbarer Kontakt zwischen den Autoren bzw. zwischen Autoren und Nutzern als sinnvoll erweisen, für zahlreiche andere werden sich Vermittlungsinstanzen mit selektiven Funktionen bewähren.


[1] Einen umfassenden Überblick liefert Helmut Kipphan: Offset- und Digitaldruck - Evolution oder Revolution in der graphischen Industrie. In: Georg-Agricola-Gesellschaft (Hg.) Von der Kalligraphie zum Direct-Imaging, Bochum 1998, S. 95-105