Theoriefaden Die Kunst in der Informationsgesellschaft

 

 

Der Kunst wird häufig die Rolle zugeschrieben unsere Wahrnehmung zu verfeinern und die Grenzen unserer Ausdrducksmöglichkeiten hinauszuschieben. Sie schult Wahrnehmung durch Sensibilisierung und Darstellung durch riskante Versuche. In der Neuzeit hat sie sich dieser Aufgabe mit ähnlichen Formen der Arbeitsteilung entledigt, wie die anderen Bereiche auch: Spezialisierung, zentrale Vernetzung und Technisierung.
Sie hat unsere Sinne und Ausdrucksmöglichkeiten isoliert geschult und damit ihre Vereinseitigung gefördert.
Die gegenwärtigen Veränderungen in den Wertmaßstäben und die neuen Medien, eröffnen nunmehr die Möglichkeit, dieser Vereinseitigung entgegenzuarbeiten.
 

1. In der multimedialen Informationsgesellschaft wird auch die Kunst multimediale Werke schaffen - und zwar als Produkt multimedialer Kommunikation.
2. Multimediale Informationsverarbeitung bedeutet: Gleichzeitige multisensuelle Wahrnehmung, Parallelverarbeitung der Information mit verschiedenen Programmen von unterschiedlichen Instanzen (multiprozessoral) sowie simultaner, multimedialer Ausdruck.
3. Multimediale Informationsverarbeitung und multimediale Kunst i. d. S. sind ziemlich neue Erscheinungen. Typisch für die Neuzeit ist eine Form manufakturieller Arbeitsteilung: Die Kunst ist säuberlich in Ton- und Bildkunst, Bildhauerei, Architektur etc. geteilt. Jeder Künstler ordnet sich einer Gattung zu, muß eine Wahrnehmungsform und ein Darstellungsmedium bevorzugen (eigener Stil). Bestenfalls im zeitlichen Nacheinander bestimmter Schaffensepochen können mehrere Medien genutzt werden. Jede Gattung ist für sich rezipierbar - autonom. Sie besitzt ihre eigene Metatheorie, Kunstkritik, Vertriebsform usf.
Das autonome Kunstwerk ist das Ergebnis autonomer und d. h. auch monosensueller Wahrnehmung und Darstellung. Deshalb verstehen sich die traditionellen mehrmedialen Darstellungen, wie Theater, Ballett und Oper als Interpretationen monomedialer Vorlagen: Texte, Partituren.
4. Echte multimediale Informationsverarbeitung setzt Interaktion der Sinne, von Gefühl und Verstand, Hand und Stimme etc. voraus. Nun waren Gesamtkunstwerke in diesem Sinne schon häufiger in der Geschichte das Ziel von einzelnen Künstlern und künstlerischen Bewegungen. Es spricht viel dafür, dass der geringe Erfolg dieser Bewegungen mit dem Entwicklungsstand der technischen Medien und Kommunikationsformen zusammenhängt.
5. Die interaktionsintensiven elektronischen Speicher- und Vernetzungsmedien bieten bessere Voraussetzungen zur Verwirklichung alter Träume:
Multimedialität
kollektive Autorenschaft
Einbeziehung des Publikums bzw. Verringerung der Differenz zwischen Künstler und Rezipient
Improvisation und Veränderbarkeit des Werkes usf.
 
6. Was die Nutzung der neuen Medien und Vernetzungsformen anbelangt, kommt der Kunst allerdings augenblicklich keine Vorreiterrolle zu, Computerunterstützte Projektgruppenarbeit und kollektive, kreative Wissensschöpfung gehören in vielen Industriebereichen zum Alltag.
Der Einsatz kreativer Medien und Arbeitsformen ist kein Privileg der Kunst.
7. Was allerdings die sprachfreie Präsentation von Informationen anlangt, die Arbeit mit Metaphern und Spiegelungsphänomenen in den verschiedenen Medien, die Umgebung des Bewußtseins im Kommunikationsprozeß, können alle gesellschaftlichen Bereich von den ästhetischen Experimenten lernen.