Das Telephon als Medium der Massenkommunikation
   
Man nutzte das Telephon auch schon frühzeitig als eine Art Massenmedium, als ein Informationsmedium, welches sich an ein größeres disperses Publikum wendet. In dieser Funktion hat es das Radio vorbereitet. So gab es "in mehreren englischen Städten rund um die Uhr Nachrichtendienste per Telephon ..., in London und Paris gab es das Theatrophon, indem man Live-Dialoge von den Theatern hören konnte, Konzerte und Reden wurden über Kabel sowohl in Privathäuser" als auch "zum Gruppenempfang in öffentliche Hallen übertragen". (Ebenso in Budapest)

Orchester bei einem telephonischen Fernkonzert; Übertragung von New York nach Newton/ Massachusetts(Scientific American, 28. Februar 1891, S. 130.)

Am 18.6.1879 berichtet die Zeitschrift ,Scientific American' (S. 403) darüber, dass in Mansfield/ Ohio in einer Kirche ein Telephon eingebaut wurde, dessen Verbindungsdrähte zu den Häusern mehrerer betagter und gebrechlicher Personen führen. Es heißt dann weiter: Das Telephon überragt den Blumenschmuck auf dem Tisch gegenüber der offenen Kanzel so, dass es kaum wahrgenommen wird. Der Prediger achtet überhaupt nicht darauf, trotzdem ist jedes Wort, das in dem Saal geäußert wird, in den Wohnräumen, zu denen die Drähte reichen, ohne Schwierigkeit zu verstehen.' Einige Jahre später berichtet die gleiche Zeitung (28.2.1891, S. 130) davon, dass in Amerika Orchestermusik nun auch über weite Entfernungen, nämlich über mehr als 460 Meilen, übertragen wird. ,Sofern zukünftig ähnliche Fortschritte wie in den letzten Monaten erzielt werden', liest man, ,wird das Telephon einen wichtigen Platz in der öffentlichen und privaten Unterhaltung einnehmen'. Eine Abb. eines Orchesters bei einem telephonischen Fernkonzert von New York nach Newton bringt die untenstehende Abbildung.
Man hatte also vor mehr als 100 Jahren den Unterhaltungswert des Telephonrundspruchs durchaus erkannt. Zumindest in Amerika. In Deutschland war der Individualverkehr, die individuelle Nutzung des Telephons das erklärte Ziel der Entwicklung. Von einem Ausbau des Telephons zu einem Unterhaltungsmedium kann nicht die Rede sein. Die Ärzte auf dem Lande, die Bürgermeister und Apotheker, die Gutsherren und die Fabrikbesitzer, der General und die Ministerialbeamten wollten und sollten vernetzt werden. Gewiss, der verantwortliche Generalpostmeister Heinrich von Stephan (1831-1897) hatte den Industriellen Siemens zur Produktion von Telephonapparaten damit gereizt, dass er als sein Ziel angab, "jedem Berliner Bürger wo möglich ein Telephon zu jedem anderen zur Disposition zu stellen", aber ein solches Ziel konnte man sich nur in der verrückten Großstadt Berlin stellen. (Oberliesen 145) Im übrigen Landes war man schon zufrieden, wenn es in jedem Ort ein oder zwei Telephone gab. Und selbst in Berlin kam man 1890 nicht über 10 000 Fernsprechteilnehmer hinaus.

Fernsprech-Ortsverkehr in Deutschland
  

 

1885

1890

1895

1900

1905

1910

Ortsnetze

Sprechstellen x)

Ortsgespräche x)

 

103

0,014

30

233

0,051

176

448

0,114

344

2.157

0,247

544

4.062

0,506

906

5.343

0,901

1.368

 

1915

1920

1925

1930

1935

1940

Ortsnetze

Sprechstellen x)

Ortsgespräche x)

 

5,798

1,225

1,775

5,561

1,780

2,486

7,388

2,588

1,760

6,709

3,247

2,260

6,647

3,270

2,168

10,762

4,959

2,838

xx)

 
x) in Millionen

xx) Ohne Ortsgespräche von Anschlüssen gegen Pausch- oder Zeitgebühr, die u.a. in Österreich und im Sudetenland bestanden(siehe Bräuer)

Andererseits kann nicht übersehen werden, dass mit diesen Telephonnetzen die neuzeitliche Verkabelung nicht der Institutionen oder der Repräsentanten der Institutionen untereinander sondern auch der Privatpersonen miteinander beginnt. Von diesem Zeitpunkt an ist eigentlich kein ambitionierter Postminister mehr ohne die Vision ausgekommen, jeden Haushalt mit jedem anderen über ein Kabel zu verbinden.