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Telegraph (die Vorstufe) |
Der Telegraph ist streng genommen keine
Technisierung eines akustischen Mediums, aber mit ihm werden zum ersten
Mal elektrische Schwingungen systematisch für eine Nachrichtenübermittlung
genutzt. Der Telegraph setzt an bekannten Formen der Informationsverarbeitung
und an bestehende Netze an. Er setzt nicht an der Rede sondern an den skriptographischen Systemen an. Er vereinfacht dabei den sprachlichen Code (Digitalisierung). Seine rasche Durchsetzung in Amerika und in Europa hängt damit zusammen, dass zur gleichen Zeit das Schienensystem ausgebaut wird. "Im Jahr 1830 gab es auf der ganzen Welt 332 km Eisenbahnlinien, im Jahre 1870 waren es allein in Europa schon 104 900 km; hinzu kamen noch 85 100 km in Amerika." (Oberliesen 1982: 83) An diese eisernen Netze und nicht an die optischen Telegraphen, die sich von Bergkuppe zu Bergkuppe durch das Land zogen, lehnten sich die telegraphischen Netze an. Andererseits waren die vorherrschenden Bedürfnisse zur Benutzung des elektrischen Telegraphen anfangs diejenigen, die auch den optischen Telegraphen hervorgerufen hatten und die durch ihn eher schlecht als recht befriedigt wurden. Vorzugsweise ging es beim optischen Telegraphen/ Semaphor um die schnelle Übermittlung von militärischen Nachrichten, Napoleons Erfolge beruhen zum Teil auf seinem System der optischen Telegraphen, außerdem sollte mit ihrer Hilfe die absolutistische Verwaltung verbessert werden. Wenn man sich nun allerdings vergegenwärtigt, dass ein Telegramm von gut 100 Worten auf der preußischen Linie von Berlin nach Köln einen ganzen Tag, 13 Stunden benötigte, dann kann man sich vorstellen, dass hier viele Wünsche offen blieben. Nur im Vergleich mit den reitenden Boten konnte man zufrieden sein. Die Konkurrenz zwischen Frankreich und Preußen führte dazu, dass man immer neue Überlegungen anstellte, wie man mehr Worte schneller übermitteln konnte. Außerdem machte das Wetter zu schaffen: Beispielsweise konnten von Mitte November bis Mitte Januar 1840/41 "mit dem preußischen [optischen] Telegraphen wegen schlechten Wetters keine Korrespondenz geführt werden" (Oberliesen 1982: 77). Es ist insoweit nicht verwunderlich, dass sowohl Militär wie auch Verwaltung hier auf Verbesserungen drangen. Diese wurden möglich, als sich die Erkenntnisse über Elektrizität und Magnetismus verbesserten. Die Idee mittels Strom, der durch elektrische Drähte fließt, Informationen weiterzugeben, formulierte der Schotte Charles Marshall schon in der Mitte des 18. Jh. Er wollte für jeden Buchstaben des Alphabets einen Draht reservieren und mit diesen die Ein- und Ausgabegeräte verbinden. Elektrisierte man einen Draht bei der Eingabe, so konnte bei der Ausgabe eine Glocke bei den entsprechenden Buchstabenausgängen klingeln - oder andere Zeichen gegeben werden. Im Prinzip war ein halb Duplex-Betrieb möglich, weil sich Eingabe- und Ausgabegeräte glichen. Beide Seiten brauchten nur eine geeignete Elektrisierungsvorrichtung, die aber im 18. Jh. noch Probleme machte, wenn man höhere Spannungen erreichen wollte. Diese waren wiederum notwendig, um größere Strecken zu überbrücken. 1774 setzte der Genfer Gelehrte George-Louis Lesage (1724-1803) die Ideen Marshalls in die Praxis um, indem er zwischen 2 Zimmern seines Hauses eine entsprechende Anlage installierte. Im Grunde handelt es sich bei diesen Anlagen um 24 nebeneinander existierenden Kommunikationssystemen, für jeden Buchstaben eines. Immerhin aber arbeitete dieses System schon digital, mit einem binären Code: Entweder ‚a' oder eben ,nicht a' . Die Codierung ist bei den Telegraphen immer ein Problem geblieben. Das zumeist verwendete sog. Morse-Alphabet, das die Buchstaben als längere oder kürzere laut- bzw. elektromagnetische Impulse codierte, konnte nur von Spezialisten verwendet werden und machte den Telegraphen für eine öffentliche Nutzung ungeeignet. Man brauchte menschliche Experten als Schnittstelle zwischen dem technischen Kommunikationssystem und einem Laiennutzer. |
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In den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.
wurden schrittweise die technischen und theoretischen Voraussetzungen
für eine effektive elektrische Datenübertragung geschaffen:
Leistungsfähigere Stromerzeuger, Batterien, isolierte, gut leitfähige
Drähte, magnetische Spulen, Verstärker etc.. Die Kombination
dieser Teile zu Sendern und Empfängern war ohne theoretische, wissenschaftliche
Erkenntnisse kaum mehr möglich. Insoweit ist die Hardware dieser
Netze weit komplizierter als jene des typographischen Zeitalters . Trotzdem blieb die Elektrotechnik bis in die 40er Jahre des 19. Jh. noch so störanfällig, dass man sich in allen europäischen Ländern lieber für den einfacheren mechanischen Weg der elektrischen Telegraphie als für den Einsatz der optischen Telegraphen entschied. Das erste Land, das umstellte, war England. Dies hatte vielfältige Gründe. Der hier eingeführte optische Telegraph war der langsamste, die industrielle Entwicklung hatte andererseits sehr viel rascher zum Bau von Eisenbahnen geführt und die Arbeitsteilung brachte ein stärkeres ,privates' Interesse an Kommunikationsverbindungen zwischen den einzelnen Städten/Fabriken. In den 40er Jahren wurden daher dort die ersten an das Eisenbahnnetz gekoppelten dauerhaften Telegraphen eingerichtet. Das von F. Cooke und Ch. Wheatstone am 12.12.1837 angemeldete Patent, das die Grundlage für diese Vernetzung bildete, trug den Titel ,Verbesserungen beim Erzeugen von Zeichen und Anrufen an entfernten Stellen mittels über metallische Leitungen gesandter elektrischer Ströme" (Oberliesen 1982: 102). Dass dieses System vermittels magnetisch gesteuerter Nadeln ein direktes Ablesen der Buchstaben ermöglichte, dürfte seine Verbreitung zusätzlich gefördert haben. Schon am 1.1.1848 erlaubte eine Parlamentsakte, dass in England ein allgemein zugängliches, privates Telegraphennetz eingerichtet wurde. Ähnlich schnell verlief die Einführung des Telegraphen in Amerika. Hier hatte Samuel Finley Breese Morse (1791-1872) in den Jahren 1835-37 die entsprechende Hard- und Software entwickelt. Am 24.5.1844 wurde die erste Telegraphenanlage nach seinen Plänen entlang der Bahnlinie Washington-Baltimore über eine Entfernung von 64 km in Gang gesetzt. Drei Tage später gab man sie in beiden Richtungen zur öffentlichen Benutzung frei. Die Gebühr betrug 1 Cent für je 4 Buchstaben. Schon ein Jahr später hatte man in Amerika auf private Initiative hin 1455 km Telegraphen verlegt. Genutzt wurde der erste öffentliche Telegraph schon in den ersten Tagen von einer Zeitung, dem "Baltimore Patriot", der seine Leser über einen Beschluss des Repräsentantenhauses unterrichtete. "Auf diese Weise", also durch die Benutzung der neuen Kommunikationstechnik, "sind wir imstande, unseren Lesern", so schloss der Artikel damals, "bis 2 Uhr Informationen aus Washington zu liefern. Das ist praktisch die Aufhebung des Raumes." (Hadorn/Cortesi S.122) Genau darum ging es: Parallelverarbeitung von Informationen an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit. Diesem Ziel war man nun schon sehr viel näher gekommen. Leider war es damals noch nicht möglich, die neuen Netze im Voll-Duplex-Betrieb zu nutzen. In dieser Hinsicht musste man noch auf das Telephon warten. In Deutschland, genauer in Preußen, hatte man 1848 ebenfalls im größeren Stil mit der Einrichtung eines elektrischen Nachrichtennetzes begonnen. Die optischen Telegraphen wurden 1852 abgebrochen, als die elektrische Telegraphenlinie Köln-Koblenz in Dienst ging. Schon 1849 hatte man, gegen den Widerstand der Militärs die Telegraphen für die privaten Nutzer frei gegeben - vermutlich weil man die Infrastruktur ansonsten nicht hätte finanzieren können. Der Betrieb der Linien wurde jedenfalls ein gutes Geschäft. "Nach preußischen Handelsarchiven betrugen die Einnahmen des Jahres 1856 beispielsweise rund 570 000 Taler, die Ausgaben dagegen nur 271 184 Taler". (Oberliesen 1982: 111) Betrachtet man die Entwicklung des Telegrammverkehrs in der Zeit von 1851-1856 so sieht man, dass von Beginn an die Staatsdepeschen nur ein Sechstel der Privatdepeschen ausmachen und auch ihre Steigerung in den folgenden Jahren geringer ausfällt als jenem privaten Bereich. (Oberliesen 1982: 114). |
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Entwicklung des Telegrammaufkommens in Preußen, Anzahl der aufgegebenen Depeschen von 1851-1856. Im Gegensatz zum Staats- und Eisenbahndienst erfuhr der Privatdienst in wenigen Jahren eine siebenfache Steigerung. Die elektrotelegraphischen Netze verdanken ihre rasche Durchsetzung in den Industrienationen vor allem auch der Tatsache, dass sie nicht in institutionellen Netzen eingebaut wurden, sondern dem privaten Gebrauch offen standen. Sie nivellierten auf dem Gebiet der Fernkommunikation ständische Unterschiede in ähnlicher Weise wie das typographische Informationssystem im 16. Jh. Den Zugang von kriteriender Schichtzugehörigkeit unabhängig machte. Ab 1861 benutzte man in Deutschland den von Siemens herausgebrachten Farbschreiber "mit dem ein geübter Telegraphist in der Stunde 450-500 Worte übermitteln konnte. ... Bei der deutschen Reichspost erreichte er gegen Ende des 19. Jh. mit 17 000 Stück seinen höchsten Stand".Eine weitere Steigerung der Geschwindigkeit brachte 1893 die Einführung des sog. ,Klopfertelegraphen'. Die digitale Codierung ermöglichte auch die Überbrückung sehr großer Entfernungen, weil sie sich verhältnismäßig leicht ,verstärken' ließ. Am 4.8.1866 wird das erste dauerhafte Transatlantikkabel, das eine Entfernung von 2500 Seemeilen überbrückt, in Dienst genommen. Die erste Depesche, die in England eintrifft, ist der Börsenbericht aus New York. 1869 wird die von Siemens gebaute Fernleitung London-Teheran-Kalkutta mit insgesamt 18 000 km in Betrieb genommen. 1898 verfügt Großbritannien mit 209 000 km Kabel über 70% des Weltnetzes. Es liegt auf der Hand, dass diese Tatsache im Konkurrenzkampf der Großmächte zu neuen technischen Lösungen anspornte, um die Nachrichtenübermittlung von den Telegraphennetzen und damit von der Kontrolle Englands unabhängig zu machen. Dieses Problem wird durch die Einführung der Funktelegraphie gelöst. |
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Oberliesen, Rolf (1982): Information, Daten und Signale. Rowohlt-Verlag. Reinbek. | ||||||||||