![]() |
Prämierungsanalyse |
Kulturen haben, übernimmt man den ökologischen
Ansatz, die Fähigkeit, Bewertungen ihrer eigenen Strukturen, Medien,
Informationen, Prozesse etc. vorzunehmen. Mehr noch: sie stehen andauernd
vor der Notwendigkeit eben dieses zu tun und das Aussetzen von Bewertungen
ist ein speziell zu organisierendes, mühsames Unterfangen. Jede vergleichende Mediengeschichtsschreibung steht deshalb vor der Aufgabe, zu ermitteln, welche Medien, Informationen, Kommunikatoren, kurz: welche Elemente und Prozesse des Systems prämiert und welche anderen abgewertet werden. Sie steht zweitens vor der Aufgabe, die hinter diesen Selektionsprozessen stehenden Grundannahmen oder Programme zu rekonstruieren. Die verschiedenen Kulturen und historischen Epochen unterscheiden sich aus informationstheoretischer Perspektive durch die Sinne, Speichermedien, Prozessoren und Darstellungsformen, die sie bevorzugt benutzen, technisch unterstützen und reflexiv verstärken. Zum anderen unterscheiden sie sich durch die Vernetzungsformen, die sie bevorzugen und die sie als ‚Kommunikation‘ auszeichnen. Drittens unterscheiden sie sich in den Spiegelungen, die sie zwischen sich und der Natur sowie innerhalb der Kultur zwischen den verschiedenen Medien zulassen und nutzen. Das jeweils bevorzugte Sinnesorgan, die bevorzugten Prozessoren (Verstand, Glaube, Gefühl), Speicher- und Kommunikationsmedien bestimmen auch die Theorie der Wahrnehmung, des Denkens, der Darstellung und Verständigung. |
Eine Aufgabe der Kommunikationsgeschichtsschreibung
besteht vor diesem Hintergrund darin, durch die Zeiten zu verfolgen, was
die einzelnen sozialen Gemeinschaften jeweils als Kommunikation, als Kommunikator
und als Medium kultureller Verständigung anerkannt haben und welche
Kriterien sie für den Erfolg dieser Verständigung entwickelt haben.
Zweitens gilt es die tragenden Legitimationen für die Hierarchisierung der Medien und Kommunikatoren, die aus dem Netzwerk erst das kommunikative System machen, zu erfassen. Es werden dabei sowohl Ideologien beschrieben, die das Bestehende legitimeren als auch solche, die Innovationen begründen. Die Behandlung der Legitimationen bedeutet immer auch den Übergang von einer strikt medien- und kommunikationstheoretischen Betrachtung zu einer kulturellen Sicht. Dies zeigt sich bspw. auch, wenn man klärt, welche Prozesse in den Kulturen als förderlich ausgezeichnet und etwa als ‘Entwicklung’ anderen Veränderungen gegenübergestellt werden, die als ‘Stagnation’ – z.B. im modernen Europa – abgewertet werden. Von diesen Geschichtsmodellen kann sich die Mediengeschichtsschreibung nicht abkoppeln. Sie muss sie reflektieren und kann sie ggfs. kritisieren. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass die Historische und Vergleichende Medienwissenschaft kulturgeschichtliche Modelle benötigt. Ohne historiographische Kenntnisse fällt die Beschreibung kulturspezifischer Veränderungs- und Entwicklungsmodelle schwer und ist die Erläuterung der Legitimationsformeln kaum möglich. Die sogenannten ‘einfachen’ oder ‘oralen’ (‘mündlichen’) Kulturen, deren soziale Differenzierung im wesentlichem an Abstammungslinien (Gentilordnung) orientiert ist, sind in einem besonderen Sinne multimediale Kulturen. Sie haben im Gegensatz zu dem, was durch die Bezeichnung ‘oral’ suggeriert wird, gerade kein generelles Kommunikationsmedium ausdifferenziert und sozial prämiert – schon gar nicht die Rede. Sie nutzen vielmehr das gesamte leibliche Verhalten des Menschen, seine Arbeitstätigkeiten, den Tanz, die Tätowierungen u.v.a.m. als Kommunikationsmedien. Dies schließt nicht aus, dass die einzelnen Stämme unterschiedliche Formen des körperlichen Ausdrucks bevorzugen. Bei dem einen Stamm ist es die Körperbemalung, bei anderen sind es Tätowierungen, Tanz, Gesang usf., die jeweils als Identitätsmerkmal besonders gepflegt werden – und denen deshalb auch besondere kommunikative Aufmerksamkeit zuteil wird. Aber diese Merkmale werden nicht zu Leitmedien ausdifferenziert, die als Teil für das Ganze stehen könnten. Die diffuse Ganzheitlichkeit der frühen Kulturen wird im Fortgang der Geschichte durch vielfältige Ausdifferenzierungsprozesse der leiblichen Ausdrucksmöglichkeiten aufgebrochen. Die Vertreibung aus dem ‘Paradies’ – als der Vision eines ganzheitlichen Körpers in symbiotischer Einheit mit der natürlichen Umwelt – bedeutet den Einbruch von Arbeitsteilung, von Rangordnungen, Wettbewerb und der Gegenüberstellung von Mensch und Natur. |