Fernsehen
   

Die mehrseitige Patentschrift Paul Nipkow (1860-1940), mit der man die Geschichte des Fernsehens normalerweise beginnen lässt, fängt mit folgendem Satz an:
"Der hier zu beschreibende Apparat hat den Zweck, ein am Orte A befindliches Object an einem beliebigen anderen Orte B sichtbar zu machen." [7] Er nannte seine Erfindung ,elektrisches Teleskop'. Teleskop bedeutet griechisch so viel wie ‚Fern-Sehen' und diese Übersetzung hat sich nach 1890 auch im deutschen Sprachraum allmählich entwickelt.

Seine technische Grundidee unterscheidet sich kaum von den wahrnehmungstheoretischen Vorstellungen der Erfinder der Perspektive. Als er eine Kerze mit zusammengekniffenen Augen ansah, war ihm aufgefallen, dass sich das Bild in einzelne Lichtpunkte ,zerlegte'. Mit seiner Erfindung wollte er Bilder in Lichtpunkte zerlegen und diese dann wieder zusammensetzen. Heute würde man von einem pixelorientierten Programm sprechen und könnte es von den vektororientierten perspektivischen Projekten abgrenzen.

Er überlegte nun, wie man das Licht mit einer geeigneten technischen Vorrichtung in einzelne Punkte zerlegen kann. Er fand die später nach ihm genannte ,Nipkow'-Scheibe, eine drehbare Metallscheibe mit 30 spiralförmig ausgestochenen Löchern. Beim Drehen der Scheibe wandern diese Löcher von links nach rechts (oder umgekehrt) und lassen jeweils nur bestimmte Lichtstrahlen, die von den Objekten reflektiert werden, einfallen. Man kann auch sagen, die Objekte werden Punkt für Punkt auf ihre Helligkeit hin ,abgetastet'. Das einfallende Licht wird durch eine Linse auf eine Selenzelle gerichtet. Diese sind, wie 1817 der schwedische Chemiker Jöns Jacob Berzelius erkannt hatte, in der Lage, Licht in elektrische Energie umzuwandeln. Bei hellem Lichteinfall erzeugen sie einen starken, bei weniger Licht einen schwachen Stromstoß. Diese Stromstöße werden nun über Draht an einem Empfänger weitergegeben. Das ist im großen und ganzen das Telegraphenprinzip. Der Empfänger besteht aus einer Lampe, die je nach den Stromstößen mehr oder weniger viel Licht abgibt, und aus einer zweiten Nipkow-Scheibe, die sich genau mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Aufnahmescheibe drehen muß. Das mehr oder weniger helle Lampenlicht fällt nun durch die Löcher dieser Scheibe auf eine Projektionswand und wenn sie sich rasch genug drehen, mindestens 10 Bilder pro Sekunde, so entsteht auf dieser Projektionswand Zeile für Zeile das ursprüngliche Bild. In der Theorie jedenfalls. Praktisch war es schwierig, die Scheiben zu einem synchronen Lauf zu bringen, die Selenzellen arbeiteten zu ungenau und so erwies sich letztlich der ,mechanische' Weg Nipkows als eine Sackgasse.

Das Prinzip des Auflösens des Bildes in Lichtpunkte, und zwar zeilenweise und von oben nach unten, der Umsetzung der optischen Informationen in elektronische Signale und des späteren, ebenfalls wieder zeilenweisen Aufbaus des Bildes, aus den retransformierten Signalen blieb jedoch erhalten.

Es fällt auf, dass das Fern-Sehen nach dem Modell des Buchlesens, Buchstabe für Buchstabe und Zeile für Zeile abläuft. Auch hier geht es wieder um Zerlegen und Zusammensetzen von Informationen und um deren Transformation von einem Medium in das andere. Um mehr nicht.

Der Nachteil Nipkows war, dass er diese Analyse und Synthese mechanisch vornahm. Der spätere Nobelpreisträger Karl Ferdinand Braun (1850-1918) erfand kurz vor der Jahrhundertwende die nach ihm später benannte Kathodenstrahlröhre - die Braunsche Röhre. Damit konnte er die mechanische Analyse elektrifizieren. Er bündelte einen Elektronenstrahl und lenkte ihn auf eine zu einem Bildschirm aufgeblasene Glasröhre. Durch Ablenkplatten konnte der Strahl in alle Richtungen beliebig auf dem Bildschirm bewegt werden. Beim Auftreffen auf die Bildröhre wurden Lichtpunkte erzeugt. Wenn diese Lichtpunkte nun sehr schnell nacheinander aufleuchteten, verarbeitet sie das Auge des Betrachters als Umrißlinien oder auch als Bewegungen.

1906 gelingt Max Dieckmann, dem Assistenten von Braun, auf diese Weise die elektronische ,Zeichnung' eines Bierkrugs. In den nächsten 20 bis 30 Jahren versuchten beinahe an allen Ecken der Erde zahlreiche Tüftler, entweder mit dem mechanischem oder mit dem elektrischen System ,Fernsehaufnahmen' zu erzeugen und zu übertragen. Die Qualität ist in diesen Anfangsjahren nicht sonderlich gut und wie üblich wird das Ganze eher als eine Jahrmarktsbeschäftigung und als ,Kuriosität' behandelt.

"Bezeichnend ist denn auch, wofür in Amerika das Fernsehen damals eingesetzt wird: 1928 etwa wird eine ,Fernsehhochzeit' zelebriert, bei der Braut und Bräutigam in verschiedenen Studios aufgenommen werden und sich über einem Bildschirm das Jawort geben... ,,(Hadorn/Cortesi, S. 170). In Deutschland werden im September 1928 Fernsehexperimente über den Berliner Sender Witzleben ausgestrahlt - und zwar nach dem mechanischen Scanning-Prinzip von Nipkow. Etwas später führt dann Manfred von Ardenne sein vollelektronisches Fernsehsystem vor. 1935 schreibt er: "Der Augenblick ist gekommen, wo das Fernsehen aus der Hand weniger Physiker und Techniker einem sich stetig vergrößernden Kreise und schließlich der Allgemeinheit zugeführt werden muß". (Ebd. S.173)

In Deutschland war dies der richtige Anstoß zur richtigen Zeit. Während nämlich in Amerika und England die Rundfunk-, Presse- und Filmlobby wenig Interesse besaß, in ein potentielles Konkurrenzunternehmen zu investieren, fanden die Nationalsozialisten das neue Medium für ihre Zwecke interessant. Auf je mehr Kanälen sie ihre Botschaft unters Volk brachten, auf je größere Resonanz meinten sie hoffen zu können. Und wohl auch aus diesem Grund bestanden sie darauf, dass das Fernsehen von Anfang an in ,Bild und Ton' sendet. Merkwürdigerweise hatte man sich bei den früheren Fernsehversuchen nur auf die Bildübertragung beschränkt. Am 22.3.1935 beginnt das Fernsehprogramm mit Bildern über Großkundgebungen und von Adolf Hitler: "Nun ist die Stunde gekommen, in der wir beginnen wollen, mit dem nationalsozialistischen Fernsehrundfunk ihr Bild, mein Führer, tief und unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen." Das neue Medium hatte eine eindeutige soziale Aufgabe gefunden.

Von nun an wurde von Berlin regelmäßig dreimal in der Woche, zwischen 20.30 Uhr und 22.00 Uhr, das Programm ausgestrahlt. Empfangen wurde zumeist in den sogenannten ,Fernsehstuben', die vorwiegend in Postämtern aufgestellt waren und 30 bis 40 Zuschauerplätze hatten.

Abb: Aus den Anfängen des deutschen Fernsehens
 

Die Aufnahmesituation muss damals für alle Beteiligten eine wahre Tortur gewesen sein: zunächst völlige Dunkelheit, dann ,Abtasten' der Objekte im Scheinwerferlicht. Was aber wichtiger ist, die ,Persönlichkeit' der ,Aufgenommenen' mußte entsprechend der technischen Möglichkeiten des neuen Medium verwandelt werden. (Die Lippen der Ansagerinnen wurden schwarz geschminkt, weil die Fotozellen der damaligen Kameras die rote Farbe nicht gut ‚abtasten' konnten.) Die Augenlider erhielten einen grünen Aufstrich, das Haar wurde mit Goldstaub überpudert. "Wenn die Ansagerin in einer weißen Bluse im Studio erschien, wurde diese mit grauer Farbe überstrichen". (Hadorn/Cortesi S. 174 f.)
 
Die Aufnahmetechnik war so aufwendig, dass man sich wirklich wundern kann, dass schon am 30.4.1935 - in einer Generalprobe für die 1. Mai-Feier - die erste Direkt sendung ,live' aus einem Berliner Lokal übertragen wurde. Die Olympischen Spiele 1936 bildeten den ersten Höhepunkt der Fernsehgeschichte. In 27 Fernsehstuben verfolgten insgesamt rund 150 000 Zuschauer die Sportübertragungen. Die deutsche Fernsehindustrie machte mit dem Verkauf von Fernsehempfängern einen riesen Umsatz.

Diese Entwicklung ist bekanntlich in Deutschland durch den Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen (auch in England wird 1939 der Sendebetrieb eingestellt). Währenddessen breitet sich das Fernsehen in den USA, wo es am 30.4.1939 den Programmbetrieb aufnahm, kontinuierlich aus. "Schon 1953 sind 20 Millionen Geräte in Betrieb" (Ebd. S.180) und sie werden immer billiger.

Wie auch bei der Einführung der anderen technischen Medien, befürchtet man ebenso beim Fernsehen ,gesundheitsschädigende Auswirkungen'. Das Image des Fernsehens bleibt in Deutschland lange Zeit schlecht, schlechter jedenfalls als jenes des etablierten Rundfunks. In der Konkurrenz zu diesem Medium hat das Fernsehen auch einen schweren Stand. Das sieht man auch an der Bezahlung. So plaudert Hans-Joachim Kulenkampff: ,,Wissen Sie, was ich für eine Fernsehsendung gekriegt habe? Für zwei Stunden ,Wer gegen Wen' zweihundert Mark; für dieselbe Sendung im Rundfunk habe ich siebenhundertfünfzig Mark gekriegt. Erst Anfang der 60-er Jahre habe ich für eine Fernsehsendung so viel gekriegt, wie für eine Rundfunk- sendung." (Agenda 2, 1992, S. 18)
 
Weitere Entwicklung:

1963 erfindet Walter Bruch bei Telefunken das ,PAL'-Farbfernsehsystem
1967 - Farbpremiere und Speicherung von Fernsehsendungen mit dem Ampex-Magnetaufzeichnungsgerät.
Ab 1956: Möglichkeit, Magnetbildaufnahmen mit derselben Präzision wie Zelluloidfilme zu schneiden und Fernsehaufzeichnungen beliebig zu vervielfältigen!

 
Additive Integration


Zunächst werden die Tonbänder aber noch wie Filme auf dem Postweg verschickt. Die Reichweite der Fernsehsender ist wegen der Hochfrequenztechnik begrenzt. Ausweitung der Reichweite erfolgt durch Fernsehsatelliten (‚Telstar 1' am 10.7.1962). Am 23.7.1962 findet zum ersten mal Programmaustausch zwischen Europa und den Vereinigten Staaten statt. Zu beachten wäre aber noch die Tatsache, dass noch 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio die Tonaufzeichnungen über das transozeanische Kabel versendet wurden, während die Bilder über den Nachrichtensatelliten ‚Syncom 3' von Japan nach Amerika geschickt, dann drahtlos nach Montreal gesendet und von Kanada mit einem Düsenflugzeug auf Magnetbändern nach Hamburg transportiert wurden, wo sie dann über das Eurovisionsnetz ausgestrahlt wurden. An diesem Beispiel lässt sich beobachten, dass das audiovisuelle Informationssystem auch in seiner Anfangsphase durchaus kein monomediales System war.

 

 
[7] Vgl. Hadorn/ Cortesi, Bd. 2, S.164 ff.(hier 165), auf die sich die folgende Beschreibung im wesentlichen stützt.

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