Börsenverein und Konditionsgeschäft (Jäger/Estermann)
  Georg Jäger/ Monika Estermann: Deutsche Buchhandelsgeschichte in kulturvergleichender Absicht. In: Shiro Kohsaka und Johannes Laube(Hg.): Informationssystem und kulturelles Leben in den Städten der Edo-Zeit, Symposium München, 11.-14.10.1995. Wiesbaden, Harrassowitz Verlag 2000, S. 21-37.

 

„Auf Grundlage der Börse, des Abrechnungslokals für die auswärtigen Buchhändler in Leipzig, kam es auf Initiative der süddeutschen Buchhändler schließlich 1825 zur Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler [1], eines Wirtschaftsverbandes, in dem alle Handelsstufen vereinigt waren, die ihrer Natur nach um Konditionen und Rabatte konkurrierten. Die gemeinsame Vertretung der Verleger- und Sortimenterinteressen im Börsenverein ermöglichte die Durchsetzung eines einheitlichen Urheberrechts, das den illegalen Nachdruck unterband, und die Einführung des festen Ladenpreises, der die unkontrollierbare Schleuderei verhinderte. Die Preisbindung letzter Hand, bis heute das Fundament des deutschen Buchhandels, wurde mit der Satzungsrevision des Börsenvereins 1887/88 eingeführt. Juristisch kommt die Ladenpreisbindung dadurch zustande, daß der Verleger die Sortimenter (ggf. über einen Zwischenhändler) auf einen einheitlichen Verkaufspreis an das Publikum verpflichtet. Legitimiert wird der feste Ladenpreis durch kultur-, regional- und sozialpolitische Argumente (große Titelvielfalt, breitgestreutes Sortiment, mittelständische Betriebe) [2]. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, daß von einer Interessengemeinschaft von Verlag und Sortiment ausgegangen wird.
Die 'bibliographische’ Spaltung Deutschlands, die auf dem oben angedeuteten Gegensatz zwischen der 'Leipziger Handlungsart’ und der 'Reichsbuchhändler-Handlungsart’ im Südwesten Deutschlands beruhte, wurde durch einen Kompromiß in Form des Konditionsgeschäfts
[3] überwunden.
Im Konditionsgeschäft, das im 19. Jahrhundert die „Grundlage des ganzen Verkehrs“
[4] bildete, übertrug der Verleger das Verfügungsrecht an den 'à conditon’ gelieferten Neuerscheinungen auf Zeit an den Sortimenter. Der Verlag finanzierte die Herstellung und übernahm damit das wirtschaftliche Hauptrisiko; der Sortimenter arbeitete mit den ihm zur Verfügung gestellten Artikeln, um Kunden zu gewinnen (Ansichtssendungen, Anzeigen in der Lokalpresse, Ausstellungen im Schaufenster usw.). Das konditionsweise gelieferte Werk blieb Eigentum des Verlags, der Sortimenter bezahlte es erst nach Verkauf und nur im Falle des Verkaufs. Der Sortimenter hatte also ein Remissionsrecht, üblich wurde „eine nach der Zurücksendung der nichtabgesetzten Exemplare erfolgende Barzahlung des Saldos“ an den Verlag [5].
Wie früher der Tausch auf den Messen, so ermöglichte das Konditionsgeschäft dem Buchhändler die Führung eines großen und breit sortierten Lagers. Im Unterschied zum Messehandel war es dem Verlag jedoch möglich, die Auslieferung von Neuerscheinungen über das ganze Jahr zu verteilen. Von der Lagerhaltung profitierte der Kunde. In die Krise geriet das Konditionsgeschäft, als die Zahl der Neuerscheinungen immer mehr zunahm und der Absatz der Konditionsware gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts dramatisch zurückging.[6]
Die für Deutschland charakteristische Buchhandelsorganisation des Börsenvereins ist von einem Gemeinschaftsdenken geprägt, das das Wohl der Gesamtheit der Berufsangehörigen im Auge hat und sich an den alten Innungsgedanken anlehnt (vergleichbar mit den Handwerkskammern, Anwaltskammern und anderen berufsständischen Organisationen).[7] Dies ist besonders bemerkenswert, da der Buchhandel niemals in Zünften organisiert war und sich erst im Zeitalter der Industrialisierung aus gemeinsamen Interessen zusammenschloß und mit der Ladenpreisbindung die Gesetze der freien Marktwirtschaft teilweise außer Kraft setzte.
Wie die historischen Gewerbeformen die Eigenart der deutschen Entwicklung prägten, verdeutlicht ein vergleichender Blick auf England und Frankreich. In diesen Ländern, die den buchhändlerischen Tauschhandel nicht kannten, bildeten sich keine übergreifenden buchhändlerischen Organisationen für alle Handelsstufen heraus.“

   
Tauschhandel und Buchmessen
 

 

[1] Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 4, Kap. 3: Die Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. Vgl. Volker Titel: Das Wort erwuchs zur Tat. Aus der Frühgeschichte des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. (Leipziger Hefte) Leipzig 1995. Zu einem Wirtschaftsverband im engeren Sinne wurde der Börsenverein erst durch die Krönerschen Reformen.
[2] In der heutigen Form lassen sie sich nachlesen bei Hans Franzen: Die Preisbindung des Buchhandels. 3., nochmals erw. und neugefaßte Aufl. München 1987, S. 8ff. Die Argumentation geht zurück auf Adolph Kröner, der die Reformbewegung zum Sieg führte. Vgl. Die Reformbewegung im Deutschen Buchhandel, z.B. Bd. II, S. 85 f. und 233 f. Zur Geschichte der Preisbindung s. Johann Schlemminger: Die Preisbindung im deutschen Buchhandel. Stuttgart 1935.
[3] Heinrich Buhl: Das Konditionsgeschäft im deutschen Buchhandel. In: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, Bd. 25 (N. F., Bd. 10), 1880, S. 142-180.
[4] „In ihm birgt sich das bestimmende und gestaltende Prinzip des deutschen Buchhandels, so zwar, daß mit dem Wegfall desselben dem Sortimentshandel der Lebensnerv abgeschnitten würde und damit das Organisationswerk, welches auf dem Zusammengehen des Verlags- und Sortimentshandels unter entsprechender Vertheilung des durch den Vertrieb erwachsenden Risico´s beruht, in sich zusammenbrechen müßte.“ August Schürmann: Die Usancen des Deutschen Buchhandels und der ihm verwandten Geschäftszweige. Leipzig 1867, S. 63.
[5] Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 3, S. 191.
[6] Den Rückgang des Konditionsverkehrs belegt Karl Bücher: Der deutsche Buchhandel und die Wissenschaft. Denkschrift im Auftrag des Akademischen Schutzvereins. 3. verm. u. verb. Aufl. Leipzig 1904, S. 36-42.
[7] Franz Dienemann: Die Organisation des deutschen Buchhandels im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, Dresden 1931, behandelt im Hauptteil „Die Reformbewegung des Handwerks und des deutschen Buchhandels unter Berücksichtigung des in ihnen lebenden Innungsgedankens“.

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