Fliesstext Die Datenerhebung mit Hilfe der Videotechnik
  (Michael Giesecke und Inga Krumwiede)
   
1. Ziele der Aufnahme
  Das allgemeine Ziel der Analyse nonverbaler Kommunikation ist die Beschreibung der Interaktion zwischen den Kommunikationspartnern - sei es die Betrachtung von pacing und leading, sei es die Ermittlung von kleinräumigen Normalformen nonverbaler Kommunikation - immer geht es darum, die Wechselbeziehungen zwischen dem Verhalten von (hier meistens zwei) Interaktionspartnern herauszuarbeiten. Diese Zielvorgabe bestimmt denn auch die Datenerhebung mittels Videokameras, die Aufnahmestrategie, die Kameraposition etc.
Voraussetzung einer hinreichenden Beschreibung von Interaktion ist zunächst ganz schlicht, dass beide Beteiligten möglichst gut auf dem Bild zu sehen sind. Dieses gelingt i.d.R. nur, wenn jede Person für sich mit einer Kamera aufgenommen wird. Die Aufnahme beider Interaktionspartner mit nur einer Kamera ist meistens ungünstig, da entweder nur eine Person zu sehen ist (bei einer Nahaufnahme) oder beide Personen auf dem Video nur schemenhaft zu erkennen sind, wenn aus so großer Distanz gefilmt wird, dass beide Gesprächspartner ganz auf dem Bild zu sehen sind.
   
  Grundregel 1: Jeder Beteiligte des zu untersuchenden Kommunikationssystems wird mit einer Kamera aufgenommen.
   
  Die getrennt aufgenommenen Videos werden nach der Aufnahme am Mischpult zusammengeschnitten.
   
2. Positionierung der Kameras
  Das 'Abmischen' der Videos nach der Aufnahme ermöglicht die Produktion einer sehr guten 'Arbeitsgrundlage' für die Transkription und Analyse des Materials, kann andererseits nur dann gelingen, wenn die folgenden Hinweise für den Einsatz der Kameras beachtet werden.
Mit dem Mischpult werden die getrennt aufgenommenen Videos nebeneinander auf ein 'Bild' gebracht. (Vgl. Abb. 1) Das heißt mit anderen Worten, dass je von den einzelnen Aufnahmen nur die eine (rechte oder linke) Seite im gemischten Video zu sehen sein wird.
Um die aufgenommenen Personen nicht 'in der Mitte durchzuschneiden', dürfen die Versuchspersonen deshalb nicht fokussiert werden, sondern müssen während der Aufnahme entweder am rechten oder am linken Rand des Suchers 'positioniert' werden.
Hierzu sind Absprachen zwischen den Kameraleuten erforderlich, damit nicht beide Versuchspersonen 'rechts' aufgenommen werden, und später auf dem gemischten Video nur eine Person zu sehen ist.
Diese Art des Aufnehmens erfordert Übung, da wir es gewohnt sind, den Gegenstand unserer Betrachtung 'in das Zentrum zu rücken'. Jeder, der mit der Kamera 'ins Feld zieht', sollte vorher Probeaufnahmen machen, sich an die ungewohnte Aufnahmetechnik gewöhnen, um Enttäuschungen beim späteren Mischen der Videos vorzubeugen.
   
  Grundregel 2: Die aufgenommenen Personen werden nicht fokussiert, sondern in der rechten oder linken Bildhälfte der Kamera aufgenommen.
   
  Um die 'nebeneinanderliegenden' Bilder auf dem Arbeitsvideo möglichst vergleichbar zu bekommen, ist es darüberhinaus erforderlich, dass die zwei Kameras gegenüber den Versuchspersonen den gleichen Standpunkt einnehmen.
Grundsätzlich gibt es hierbei zwei Standpunkte, die auch 'Untersuchungsperspektiven' darstellen (so dass die Auswahl auch vor dem Hintergrund der gewählten Fragestellung und des Forschungsinteresses zu treffen ist).
Zum einen können die Kameras die Standpunkte der Beteiligten einnehmen: Dabei wird Person B quasi über die Schulter von Person A gefilmt und umgekehrt. Auf dem endgültigen Videomaterial sind die Personen dann so zu sehen, wie der Kommunikationspartner sie sieht.
Diese Perspektive ist immer dann die erste Wahl, wenn die Personen einander gegenüber stehen oder .
Die zweite Möglichkeit ist die Einnahme des Standpunktes eines Beobachters. Dabei stehen die Kameras parallel zueinander - gegenüber den Versuchspersonen. Es ist klar, dass man von Personen, die sich gegenüber stehen, so nur die Seitenansicht erhält, so dass sich viele relevante Aspekte des nonverbalen Verhaltens (Blickkontakt, Minenspiel) nicht oder nur begrenzt erkennen lassen.
(Zur Illustration s. Abb. 1 )
Bei der Entscheidung der Frage, welche Kameraposition eingenommen werden soll, die oftmals leider auch durch 'Sachzwänge', also ungünstige Bedingungen im Feld, mitgeprägt ist, ist vor allem darauf zu achten, dass beide Kameras unbedingt die gleiche Position einnehmen, da das Datenmaterial sonst nur unter großen Abstraktionsleistungen verstanden und analysiert werden kann.
   
  Grundregel 3: Es gibt zwei mögliche Standpunkte der Kameras gegenüber den Versuchspersonen: 1) die Standpunkte der Beteiligten; 2) der Standpunkt eines Beobachters. Beide Kameras müssen aus der gleichen Perspektive auf die zu untersuchenden Personen gerichtet sein.
 

  Abb. 1: Datenerhebung interpersoneller nonverbaler Kommunikation mit 2 Videokameras
   
3. Das Aufnahmesetting
  Es gibt (technisch betrachtet) zwei Möglichkeiten der Aufnahme des Datenmaterials im Feld.
a) Die Kameras werden auf einem Stativ an dem Untersuchungsort - unter den oben genannten Bedingungen - aufgestellt und 'laufengelassen', ohne dass Kameraleute die Kamera führen. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass die untersuchten Personen relativ wenig 'gestört' werden, dass eine recht 'natürliche und normale' Kommunikation stattfinden kann.
Der Nachteil ist andererseits, dass eine gelungene Aufnahme viel Glück erfordert, dass die Versuchspersonen sich zufällig genau im Blickfeld der Kameras bewegen. U. U. sind viele Stunden Aufnahmedauer nötig, um verwertbares Material zu erhalten. Darüber hinaus kann bei diesem Verfahren die Einstellungsgröße des Kamerabildes (Naheinstellung vs. Totale) nicht der Interaktionssituation angepasst werden.
Dieses Setting wird entsprechend vor allem bei 'hochsensiblen' Kommunikationssituationen, wie therapeutischen Gesprächen, Arzt-Patienten-Gesprächen etc. angewandt werden.
 

b) Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die zwei Kameras von zwei 'Kameraleuten' bedient werden, die dem Interaktionsgeschehen per Kamera folgen.
Bei diesem Setting ist in der Regel eine dritte Person erforderlich, die die Kameraführung der zwei Kameraleute koordiniert, die mittels vorher abgesprochener Zeichen deutlich macht, wann die Kameras anfangen sollen zu filmen, die anzeigt, welche Bildgröße gewählt wird etc. Es ist wichtig, dass beide Kameras den gleichen Bildausschnitt und die gleiche Bildgröße bei den Versuchspersonen filmen. (Von Person A die Fußbewegungen lassen sich nur schwer mit der Mimik von B vergleichen und in Beziehung setzen, ist die Person A in voller Größe zu sehen und von Person B nur die Nahaufnahme des Gesichts, verwirrt dieses den Betrachter und entzieht ihn der Möglichkeit einer vernünftigen Analyse.
Die dritte, koordinierende, Person muss das Interaktionsgeschehen der Versuchspersonen genau beobachten und entscheiden, was die Kameras filmen, zumal es Neulingen an der Kamera oft schwerfällt, gleichzeitig die Technik zu bedienen und das aufgenommene Geschehen zu beobachten.
Der Nachteil dieses Aufnahmesettings liegt darin, dass drei Forscher die zu untersuchende Interaktion u. U. sehr stören können.
Die jeweiligen Vor- und Nachteile der Aufnahmesettings sind vor der Aufnahme zu reflektieren und abzuwägen.
   
4. Der Videoschnitt
  Bei der Auswertung interpersoneller nonverbaler Kommunikation ist es meist sinnvoll, die getrennt aufgenommenen Personen auf einen Blick vor sich zu sehen. Dazu müssen die beiden Videos auf ein Band kopiert und synchronisiert werden. Im Prinzip gibt es hierfür zwei technische Möglichkeiten: die Arbeit mit einem Schnittpult und der digitale Zusammenschnitt mithilfe eines geeigneten Computerprogramms.
An das Mischpult werden zwei Videorecorder mit den Originalaufnahmen als 'Quellen' angeschlossen und ein Videorecorder, der die gemischte Arbeitsversion aufzeichnet. An einem Monitor kann das Ergebnis kontrolliert werden.
Die Bedienung des Mischpultes geschieht im wesentlichen über einen Schieberegler. Mit diesem Regler wird bestimmt, wieviel des jeweiligen Bildes von Kamera A und B auf dem endgültigen Film zu sehen sind. Manche 'Aufnahmepatzer' lassen sich so noch ausgleichen, etwa wenn eine Person nicht ganz am Bildrand aufgenommen wurde. Hingegen lässt sich das jeweilige Bild nicht 'heranzoomen oder vergrößern', aus einer Totale lässt sich auch am Bildrand keine Nahaufnahme mehr machen.
Wichtig ist für den Schnitt, dass die zwei Filme absolut synchron laufen. Da relevante Interaktionssequenzen oft nur Zehntelsekunden dauern und innerhalb dieser Zehntelsekunden bedeutsame Veränderungen der Körpersprache stattfinden, ist es notwendig, dass beide Bilder der Endfassung genau die gleiche Zeit zeigen.
Dieses erfordert oft etwas Geduld, ist aber mit dem 'Jogshuttle' der 'Quellenvideorecorder' sehr gut handhab- und lösbar.
Die digitale Bildbearbeitung ist noch immer nur mit leistungsstarken Computern möglich und sie erfordert eine Einarbeitung in die einschlägige software, die ohne Vorerfahrungen bei kleineren Projekten kaum zu empfehlen ist.
   
5. Genauigkeit der Notation
  Mikroanalysen nonverbaler interpersoneller Kommunikation sind aufwendig. Mehr als 5 Minuten Videomaterial sind auch von kleinen Arbeitsgruppen im Rahmen von Hausarbeiten selten mikroanalytisch zu bearbeiten. Natürlich hängt es von der Fragestellung ab, wie viel Videomaterial aufgenommen und dann gesichtet wird. Das Ziel muss aber eine konsequente Reduktion des Datenmaterials auf eine oder einige wenige Sequenzen sein, die insgesamt den einstelligen Minutenbereich nicht überschreiten sollen. Nur dieses Material wird sehr genau transkribiert. Zur Hypothesenüberprüfung und zur Veranschaulichung der in der Feinanalyse gewonnen Thesen, kann dann wieder auf den übrigen Datenpool zurückgegriffen werden. Normalerweise wird das Datenmaterial also mit unterschiedlichem Aufwand aufbereitet: von einzelnen Videobändern gibt es nur grobe Zusammenfassungen mit Kennzeichnung aufschlussreicher Sequenzen; andere Passagen werden genauer paraphrasiert, manchmal empfehlen sich Transkriptionen nur des verbalen Verhaltens usf.

 

www.kommunikative-welt.de Methoden ©Michael Giesecke