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Selbstreflexion des Forschungsteams und mögliche Spiegelungsphänomene |
Quelle: Marsal,
Andrea/Reimann, Ute, Die Veränderung professioneller Identität
und professionellen Handelns von Pflegekräften in der stationären
Hospizarbeit. Eine empirische Studie, Diplomarbeit EVFH Hannover, Postgradualer
Studiengang ‚Supervision’. Ltg. Prof. Dr. Kornelia Rappe-Giesecke,
2002. |
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Am Ende der Datenauswertung
reflektieren die Forscherinnen noch einmal abschließend den Forschungsprozess.
Sie fassen zusammen, wie sich ihre persönliche Situation auf den
Forschungsprozess ausgewirkt hat, wie sich die Arbeit im Forscherinnensteam
selbst gestaltet hat und bedenken auch mögliche Spiegelungsphänomene. |
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„Aufgrund ihrer
jeweiligen privaten Situation hatten die Forscherinnen entschieden, die
Forschungswerkstatt in der Wohnung von Andrea durchzuführen. Ute
fuhr also jeden Tag morgens nach C. Die Forscherinnen bildeten in dieser
Zeit so etwas wie eine Lebensgemeinschaft, sie teilten Leben und Arbeiten
miteinander. Sie mussten sich gegenseitig in das Leben der anderen einfühlen,
sich fremden Gewohnheiten anpassen. Dies verlieh der Arbeit eine hohe
Intensität und Dichte. Die Forschungsarbeit hatte für beide
erste Priorität, das Privatleben verschob sich an den Rand, wurde
von der Arbeit beeinflusst. Auch bei Spaziergängen und während
des Essens waren die Interviews Gesprächsthema, Besucher wurden einbezogen.
Arbeitszeiten richteten sich nach den Anforderungen des Prozesses und
der Arbeitsfähigkeit der Forscherinnen. Etwa in der Mitte des Prozesses hatte Ute ein Erleben von Grenzüberschreitung. Sie hatte das Gefühl, ihr Privatleben nicht mehr leben zu können und fast vollständig in das von Andrea eingestiegen zu sein. Da der Forschungsprozess in Andreas Wohnung stattfand, war sie Zeugin von Telefonaten, Besuchen, privaten Krisen, Bedürfnissen von Haustieren u. a. m. Nach ca. einstündiger Fahrzeit abends zu Hause angekommen, war sie so erschöpft, dass sie zu keiner Initiative mehr fähig war. Während der Reflexion bemerkten die Forscherinnen eine deutliche Parallele zu der Arbeit im Hospiz. Es ist ein Stück Lebensgemeinschaft, Pflegende, Patienten und Angehörige essen, feiern, beten und rauchen gemeinsam, nehmen am Leben der Anderen teil. Mitarbeiter engagieren sich häufig über die Berufsrolle hinaus, die Grenze zwischen Privatleben und dienstlicher Tätigkeit ist durchlässig. Ute fühlte sich an die Aussage von Frau E.: „(...) und lebst wirklich, du steigst ein in das Leben, was dieser Mensch in diesem Bett und im Radius um sich herum im Moment führt / lässt eigentlich dein eigenes Leben ein ganzes Stück weit zurück" (Zeile 151,152) ... und den Beginn von Frau D. im Hospiz: „wirklich äh jetzt ist nur noch Hospiz / und ähm / Hospiz morgens bis abends /" (Zeile 197) erinnert. Weiter fiel den Forscherinnen auf, dass sie bei der Formulierung der Interpretation, der Thesen und Phantasien keine kontroversen Standpunkte hatten, ein harmonischer Konsens war die Regel. Auch im Hospiz gibt es einen Konsens darüber, wie Sterbepflege gestaltet werden sollte, von Kontroversen über Konzepte haben wir nichts erfahren. Im Prozess der Auswertung der Interviews nahmen sich die Forscherinnen immer wieder ein schrittweises Vorgehen vor, z. B. erst sequenzieren, dann die Gesamtgestalt betrachten, dann auf das professionelle Selbstverständnis achten... oder nur eine These am Datenmaterial überprüfen..., doch sie mussten immer wieder feststellen, dass sie bald auf allen Ebenen gleichzeitig arbeiteten, z. B. die Fallgeschichte, die professionelle Identität, den Vergleich der drei Fälle, die Phantasien, den Erzählstil oder alle Thesen gleichzeitig im Blick hatten. Auch Hospizmitarbeiter sehen sich ständig einer Reihe komplexer Anforderungen gleichzeitig gegenüber: Telefon, Besucher, Journalisten, Angehörige, Ehrenamtliche, Schmerzen, Gottesdienst, Trauer, Verstorbene, Bestatter, Ärzte, Anfragen, Milchsuppe, Spender, Einreibungen wollen manchmal gleichzeitig beachtet werden. Bereits die Betreuung eines Patienten nach einem ganzheitlichen Pflegekonzept ist hochkomplex, gilt es doch Körper, Seele, Geist und Soziales zu beachten und zu pflegen, dazu kommen die vielfältigen Anforderungen der Institution. Die Forscherinnen bemerkten unterschiedliche Rollen im Forschungsteam: Andrea fragte nach Standortbestimmung, Einordnung des jeweiligen Ist-Standes in das Gesamt des Forschungsprozesses, bekam dadurch neue Orientierung und Arbeitsfähigkeit. Sie übernahm die Verantwortung für das Forschungstagebuch. Ute fand diese Sequenzen eher ermüdend, manchmal verwirrend, sie beschäftigte sich lieber mit der Analyse der Daten, neigte dazu, die Komplexität des Gegenstands aufzufächern, suchte nach Literatur zu den angeschnittenen Themen. In der stationären Hospizarbeit steht die Fachlichkeit, d. h. die Betreuung der Patienten stark im Vordergrund, in den Interviews haben wir nichts über Organisation und Strukturen erfahren. Ute scheint hier im Forschungsprozess als Interne die Rolle der Hospizmitarbeiter übernommen zu haben, Andrea könnte in der Rolle der externen Beraterin gesehen werden, die wahrnimmt, was der Organisation fehlt. Pflegekräfte im Hospiz sind täglich mit Dramen konfrontiert, die für die Betroffenen in der Regel von einmaliger existentieller Bedeutung sind und die daher die Tendenz haben, alle Beteiligten entsprechend persönlich zu berühren und zu fordern. |
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Professionalität in der stationären Hospizarbeit |