Leitfaden Reaktionen des beforschten Systems auf die Datenrückkopplung
   
Quelle: Gerber, Dieter/Scherer, Brigitte, Empirische Forschungsarbeit Organisationsdiagnose: Beforschung städtischer Betriebe, Studienarbeit EVFH Hannover 2001, Postgradualer Studiengang 'Supervision', Ltg. Prof. Dr. Kornelia Rappe-Giesecke.

Die während der Organisationsdiagnose eines städtischen Unternehmens gewonnenen Daten wurden nach der Auswertung an das untersuchte System und den Auftraggeber rückgekoppelt. Der Rahmen dieser Rückkopplung war ein gemeinsamer Workshop mit dem Leiter und den Mitarbeitern der Organisation.

„Während der Präsentation verspürten wir eine interessierte Neugier der anwesenden Beschäftigten. Wir nahmen Zustimmung zu unseren präsentierten Annahmen wahr. Die Betriebsratsmitglieder äußerten sich auch im Kontext der Präsentation in keiner Weise. Es gab weder Reaktionen bei den positiven Aspekten und auch keine bei den als Dilemmata dargestellten Inhalten.
Das sehr zurückhaltende aber zustimmende Nicken der Mitarbeiterinnen und der Mitarbeiter stand im Kontrast zu den verbalen und nonverbalen Reaktionen des Leiters. Auffällig war, dass dieser bei konkreten, aber auch nicht so konkreten Handlungs- und Veränderungsvorschlägen sehr zurückhaltend agierte bzw. darauf hinwies, „dass dieses doch alles schon besprochen und bekanntermaßen eben nicht so schnell zu realisieren sei“. Es war dem Leiter kaum möglich, die einerseits von uns vorgetragenen Wahrnehmungen und Rückmeldungen sowie die darin enthaltenen Beschreibungen der Beschäftigten unkommentiert stehen zu lassen. Dieses Leitungsverhalten führte nach unserer Beobachtung dazu, dass unsere Aufforderung an die Beteiligten, sich noch einmal zurückschauend zu äußern, nur eine sehr begrenzte Resonanz fand. Auch unser Versuch mit Fragen wie


Was war neu für Sie bei den präsentierten Rückmeldungen?
Was kam Ihnen vertraut und bekannt vor?
Haben Sie vielleicht erste Ideen für den Umgang mit den Rückmeldungen bekommen?

zu befördern, führte zu kaum einer Resonanz.
In dieser Runde konnten wir einen Aspekt der Führungskultur (bzw. Gesprächskultur) des Leiters beobachten: Er war stets bemüht, sogleich die „richtige“ Sichtweise der Dinge darzustellen – so als stünde er unter einem enormen Rechtfertigungsdruck -, so dass den Mitarbeiter/innen nichts anderes übrig blieb, als immer wieder zu verstummen. Wir nahmen an, dass der Leiter dieses Verstummen eher als Zustimmung nahm. Was hier offensichtlich wurde, war, dass sich bei der Organisation keine irgendwie geartete „Dialog-Kultur“ oder auch nur „Diskussionskultur“ ausgebildet hatte. Offenbar waren es die Mitarbeiter/innen auch gewohnt, ruhig zu werden oder ruhig zu bleiben, wenn der „Chef“ seine Meinung verkündete. Diese Führungskultur stand im krassen Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen des Leiters und den Erwartungen, die er an seine Mitarbeiter formulierte.
Der Betriebsrat hielt seinen Mund, die Mitarbeiter verstummten und ließen den Leiter doch auflaufen. Uns drängte sich die Vermutung auf, dass der Leiter auch kaum wirklich kritische, selbständige Mitarbeiter ertragen hätte. Bei dieser Einschätzung angekommen merkten wir, dass wir ähnlich wie der Leiter nun nur noch Einzelpersonen wahrnahmen und diese auch entwerteten. Wenn wir wirklich Erkenntnisse gewinnen wollten, mussten wir dies nun auf das System beziehen. Unsere Vermutung war, dass der Mangel an klaren strukturellen Rahmenbedingungen, in denen sicher entschieden und gehandelt werden konnte, dazu führte, dass sich die ganz „normale“ Zukunftsunsicherheit in eine grundsätzliche Angst zu verwandeln drohte, die an eine „Katastrophe“ gemahnte. Ohne sicheren Rahmen, ohne eine Containing-Funktion im Sinne Bions (1971) (1), musste diese Angst und überhaupt Emotion so bedrohlich werden, dass sie massiv abgewehrt werden mussten. Damit war das System aber in einem Zustand, in dem es keine Impulse aufnehmen und sie im Sinne seines Weiterbestehens weiterverarbeiten konnte.“

Beispiele zur Organisationsdiagnose städtischer Betriebe
 

 


(1) Vgl. Bion, Winfried, Erfahrungen in Gruppen und anderen Schriften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971.

 

 

 

 

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