Fließtext Kongruenz und Sprache - Handreichung: Ich-/Du-Botschaften
 

Sprachliche Hilfsmittel zur Selbstverbergung
Die Fassade zeigt sich in der ganzen Art, sachlich und unpersönlich, abgehoben und abstrakt zu sprechen, ferner in eingeschränkter Mimik und Gestik, im abgeklärten Tonfall, kurzum: in einer sterilen Art, sich zu geben, die mehr an offizielle Kommuniqués erinnert als an einen spontanen, persönlichen Selbstausdruck. In einem Kontext, wo die menschliche Eigenart weniger gefragt ist als die verlässliche Erfüllung von Rollenerwartungen, garantiert ein solches Verhalten Sicherheit und - zumindest scheinbare - Reibungslosigkeit. Vor allem in der Arbeitswelt herrscht daher die Norm, alles Persönliche oder gar Gefühl "draußen vor" zu lassen. Eine ich-ferne und selbstverbergende Kommunikation zeigt sich ganzheitlich - gleichwohl gibt es einige sprachliche Symptome, an denen der Versuch, sich von sich selbst zu entfernen und sich zu verbergen, erkenntlich wird. Es handelt sich gleichsam um sprachliche Minitechniken der Selbstverbergung:

 

     "Man"  
Gern benutzt der Sender die Man-Form, um Inhalte zu entpersönlichen. Also nicht: "Ich bin sehr wütend, weil ich so lange warten musste!" - sondern: "Man wird wütend, wenn man so lange warten muss." Durch die Man-Form wird das eigentliche persönliche Erleben zu einem Spezialfall einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit. "Man" teilt also nichts Persönliches über sich mit, sondern etwas über die ganze Menschheit.

 

     "Wir"  
Dieselbe Funktion, nämlich das "Ich" zu vermeiden, haben häufig Sätze, die durch "Wir" es dem Sender gestatten, sich nicht persönlich zu exponieren, sondern sich in seinen Ansichten und Absichten in der Gemeinschaft aufgehoben zu wissen. "Wir sind offen für alles Neue, aber auch skeptisch, ob es etwas bringen wird" - äußert ein Teilnehmer zu Beginn eines Kommunikationstrainings. - "Wir wollen jetzt ins Bett gehen!" sagt die Mutter am abendlichen Familientisch. Diese Formulierung entspricht zwar selten der Realität, hat dafür aber den Vorteil, dass sie weniger exponierend ist, als wenn sie sagen würde: "Ich möchte jetzt ins Bett gehen, und ich möchte, dass ihr auch ins Bett geht!"

 

     Fragen  
Fragen haben oft die Funktion, mit der eigenen Meinung hinter dem Berg zu halten und statt dessen die Selbstoffenbarung des anderen herauszufordern. Dann sind sie keine Mittel zur Informationsgewinnung mehr, sondern eine Technik zur Sicherung der Oberhand. "Warum hast du dir das Kleid gekauft?" bedeutet vielleicht im Klartext: "Ich kann dein neues Kleid nicht leiden." Hinter vielen sachlichen Fragen tarnt sich oft der Meinungsgegner.

 

     "Es"  
Das "Ich", das einen unerschrockenen Blick nach innen erfordert, wird häufig auch ersetzt durch das unpersönliche, anonyme "Es". "Es war langweilig" - durch eine solche scheinbar objektive Feststellung vermeidet der Sender, seine persönliche Betroffenheit auszudrücken und Ross und Reiter beim Namen zu nennen. Wer ist dieses anonyme "Es"? Vielleicht steht dahinter: "Ich mochte die langen Reiseberichte von Onkel Herbert bald nicht mehr hören, hatte aber auch nicht den Mut, ihn zu unterbrechen und meine Anliegen zur Geltung zu bringen." Die bei dieser Version notwendig werdende Auseinandersetzung mit sich selbst und mit anderen wäre zwar nicht langweilig, dafür aber riskant und unbequem. Also ist es schon besser, es langweilig zu lassen ...

 

     Du-Botschaften  
Eine wohl am weitesten verbreitete Technik, eine gefühlsmäßige Ich-Aussage zu vermeiden, besteht in der 'Du-Botschaft' (Gordon 1972, vgl. auch S. 80). Diese Technik besteht darin, eigenes inneres Erleben in einer Aussage über den anderen zu übersetzen. In der folgenden Tabelle sind einige Du-Botschaften als Beispiele den entsprechenden (nicht ausgedrückten) Ich-Botschaften gegenübergestellt.

 

 

Du-Botschaften

(vermiedene) Ich-Botschaften

  "Musst du eigentlich immer dazwischenreden? Du solltest mal in einen Diskutier-Kursus gehen."

  "Ich bin sauer, wenn ich unterbrochen werde. Ich denke dann, das ist nicht interessant genug, was ich erzähle."

  "Dir kann man wirklich nichts anvertrauen."

  "Mir ist das ungeheuer peinlich, dass du das weiter erzählt hast."

  "Mit der Hose machst du dich doch lächerlich, zieh bloß 'ne andere an."

  "Ich habe Angst, dass die Leute über deine Hose lachen, und dann würde ich mich schämen."

 

Die Du-Botschaft ist ein durchaus taugliches Kampfmittel. Sie hat nicht nur den 'Vorteil', dass die eigene Innenwelt unkenntlich bleibt, sondern auch, dass der andere in Bedrängnis gerät. - In folgender Abb. ist gezeigt, wie hinter ein und derselben Du-Botschaft ganz verschiedene Ich-Zustände stehen können. Durch den Mangel an Selbstoffenbarung bleibt die Nachricht unklar. Schema: Du-Botschaften als Eisbergspitze


 
Aus:  Schulz von Thun,  Friedemann:  Miteinander reden 1 - Störungen und Klärungen.  Rowohlt TB, Reinbek 1981, S 110-113.
 
Übung: Ich-Du-Botschaften

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