Genese:
Ernst Haeckel
(1834-1919)
... hatte die Idee einer Wissenschaft von den Beziehungen (!) zwischen
den Organismen (Biozön) und zwischen diesen und der unbelebten Umwelt (Biotop).
Er nannte sie 1866 'Ökologie'. Organismen und Biotop bilden gemeinsam die Ökosysteme.
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Grundprinzipien:
Die Ökologie ist zunächst eine Lehre von den dynamischen Wechselbeziehungen
zwischen den Lebewesen und ihrer belebten und unbelebten Umwelt.
Diese Beziehungslehre setzt (2.) eine Typologie der Lebewesen und der unbelebten
Natur voraus.

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Die Radiolarien - Eine Monographie von
Dr. Ernst Haeckel, Berlin 1862
(systematische, nach Familien und Gattungen geordnete Übersicht der
Radiolarien-Arten) |
Selbst wenn diese zunächst nur aus dem Bedürfnis nach einer übersichtlichen
Ordnung entstanden ist, so liegt ihr im Grunde doch eine Emergenztheorie
zugrunde. Wer keine unterschiedlichen Arten annimmt und damit auch nicht an der
Klärung unterschiedlicher Beziehungstypen interessiert ist, betreibt keine
Ökologie.
Drittens wird die Entstehung der Arten und der Wechsel der Beziehungen im Rahmen
einer Entwicklungslehre als Koevolutionsprozess beschrieben. Ökologisches
Denken besitzt auch immer einen historischen Parameter.
Viertens geht die Ökologie von einer kybernetischen Steuerungslehre aus. Unter
der Grundannahme der Knappheit der Ressourcen erscheinen Prozesse als
Ausgleichsvorgänge, die nach flexiblem Gleichgewicht streben. Oder
anders: Stabile Verhältnisse sind das Produkt von Ausgleichsvorgängen zwischen
ähnlichen und widerstreitenden Prozessen.
Die vier Grundprinzipien setzen sich wechselseitig voraus, sodass jede
Darstellung eines Prinzips unvollständig bleibt.
Richtungen der
biologischen Ökologie:
Am Anfang des ökologischen Denkens stand Ernst Haeckels (1834-1919)
Interesse an der Beziehung zwischen den Organismen (Biozön) und der sie
umgebenden unbelebten Umwelt (Biotop). Diese Forschungsrichtung wird heute Autökologie
genannt. Sie steht u. a. vor der Aufgabe, die abiotischen Faktoren zu
klassifizieren, also eine Medientypologie zu erstellen. 1)
Eine ganz andere Beziehung untersucht die Synökologie. Ihr
geht es um die Beziehung zwischen artverschiedenen Lebewesen.
Die dritte Richtung nimmt nicht einzelne Organismen zum Ausgangspunkt, sondern 'homotypische Organismenkollektive' und untersucht deren Beziehung zur
Umwelt (Demökologie). Die Lebewesen emergieren in dieser
Forschungsrichtung weniger als Individuen denn als Artmodelle.
Alle drei Richtungen der Ökologie benötigen eine Typologie der
Lebewesen und der unbelebten Natur und unterscheiden sich dadurch, welche Typen
sie zueinander in Beziehung setzen. Die Typologie wird nicht nur strukturell
sondern auch im Sinne einer historischen Emergenztheorie interpretiert. Die
Arten "entstehen"; sie sind nicht, wie es das Weltbild des Alten Testamentes
behauptet, von Anbeginn vorhanden. Die neu entstehenden Individuen, Kollektive,
Gattungen und Arten bauen auf den jeweils vorhandenen auf. Spätestens seit
Darwin gibt es also eine Art emergenztheoretisches Stufenmodell.

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Embryonale Entwicklungsstufen nach der Embryonentafel von Ernst Haeckel
(1866)
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Charles Darwin (1809-1882)
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Typologisches Denken und die ökologische Emergenztheorie lassen sich nicht ohne
das Prinzip der Koevolution verstehen. Einerseits kann man die
Koevolutionstheorie als dynamische Dimension der Beziehungslehre verstehen. Sie
konzentriert sich auf die Wechselwirkung der Faktoren der ökologischen Welt.
Sie wendet dabei das Prinzip der mehrfachen Beschreibung an und erläutert diese
Beziehungen aus der Perspektive aller Beteiligten. Koevolution besagt, dass sich die Organismen sowohl als individuelle Exemplare
als auch als Art in einem Anpassungs- und Veränderungsprozess mit ihrer
relevanten Umwelt befinden. Sie lernen und entwickeln sich gemeinsam mit dieser
oder anders: Evolution ist das Produkt von Interaktion und nicht ohne Veränderung
aller Beteiligten zu haben. Die Untersuchungszelle der Koevolutionslehre ist
deshalb auch nicht das Individuum, sondern die Interaktion zwischen dem
Individuum und anderen Individuen oder der Umwelt.
Koevolution meint aber nicht nur, dass sich der Organismus in Wechselwirkung mit
der Umwelt - und umgekehrt - entwickelt. Wenn wir es mit komplexen Systemen
wie Menschen oder Kulturen zu tun haben, dann betont die Koevolutionstheorie,
dass auch unsere inneren Subsysteme miteinander in Koevolution stehen. Unser
psychischer Apparat entwickelt sich in Interaktion mit unserem leiblichen
Verhalten und unseren Körperorganen.
Keine Bewegung in dem einen Bereich ohne
Spiegelung in anderen. So gesehen eröffnet das Koevolutionskonzept die Chance,
stärker auf das Zusammenwirken der unterschiedlichen Medien und Subsysteme zu
achten.
Im einzelnen kann Koevolution stattfinden zwischen
unterschiedlichen Lebewesen/Individuen oder Arten/Kollektiven von Lebewesen,
Lebewesen oder Kollektiven und deren abiotischen Umwelt,
unterschiedlichen abiotischen Medien,
Teilsystemen/Organen der Individuen.
Die vierte grundlegende ökologische Denkweise ist die kybernetische
Biosystemtheorie. Prozesse werden, wie dies die Kybernetik in allgemeiner
Form auch vorschlägt, als Integrationsprodukte gleichartiger und gegenläufiger
Teilprozesse verstanden, die selbst zu einem Gleichgewicht streben. Dieses
Denken erfordert grundsätzlich, nicht nur einen einzelnen Prozess im Auge zu
haben, sondern Bewegung als Resultat mehrerer Prozesse - und somit von
Kommunikation - zu verstehen. Kontinuierliche Prozesse erscheinen als das
Ergebnis von Balanceakten - nicht von Gleichmaß, oder anders: Abweichungen von
Programmen, von Normalformen oder Sollwerten sind normal und notwendig. Der
Thermostat funktioniert nur, wenn wir einen Schwankungsspielraum zwischen
Richtwerten haben. Wer über das Hochseil balanciert, kann sich nicht steif in
der Mitte halten. Ohne die Annahme von Sollwerten und idealen Abläufen kommt
die Lehre von den Fließgleichgewichten nicht aus.
Das Gleichgewichtsdenken der Ökologie beruht letztlich auf der Annahme von
begrenzten Ressourcen. Die Ökologie geht davon aus, dass die Ressourcen
der menschlichen - und aller anderen - Kultur, seien es nun Informationen, Technik, soziale
Aufmerksamkeit, Bodenschätze oder andere, grundsätzlich begrenzt
sind.
Dies bedeutet, dass jedes Wachstum eines Subsystems Möglichkeiten
eines anderen einschränkt. Das Wachstum von 'x' dämpft die Wachstumskurve von
'y'. Wegen dieses Dämpfungsfaktors wachsen bspw. die Bäume nicht in
den Himmel. Gewinn und Verlust halten sich in der Gesamtschau die Waage, sind
nur zwei Seiten desselben Vorgangs (Aristoteles: Die Geburt eines Wesens
bedeutet den Tod eines anderen). Selbst wenn man das radikale
Gleichgewichtsmodell für die menschliche Kulturgeschichte ablehnt, braucht das nicht zu
heißen, dass die ökologische Analyseperspektive überflüssig ist. Sie fördert das Verständnis für die zirkulären
Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Faktoren der Ökosysteme und bietet
insofern auch eine gute Grundlage für Technikfolgenabschätzungen. Sie hält uns
nämlich an, bei jeder technischen Errungenschaft auch nach
den negativen Auswirkungen auf andere Prozesse zu fragen (Ökocheck).
Theoriekomponenten:
Beziehungslehre/Ökosystemtheorie
Typologie der Arten in
synchroner und diachroner Perspektive/Emergenztheorie
Koevolutionstheorie
Kybernetische
Steuerungslehre/Biosystemtheorie
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