Fliesstext Sinn und Strategien spiegelungstheoretischer Untersuchungen
   
Der spiegelungstheoretische Ansatz ermöglicht es, kommunikative Strukturen in ganz unterschiedlichen Systemen miteinander zu vergleichen. Solche Rückschlüsse von dem einen auf einen anderen Phänomenbereich kommen im Alltag häufig vor. Aus der Art, wie jemand seinen Garten pflegt, schließen wir auf seine Pflege der Familienbeziehung, körperliche und geistige Aktivitäten werden häufig parallel gesetzt (In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist!), psychische Stabilität, so erwarten wir zunächst einmal, sollte sich auch in stabilem Sozialverhalten ausdrücken. Natürlich sind solche Analogieschlüsse immer bloß Hypothesen. Sie müssen überprüft werden und erst wenn sich die positiven Belege häufen, werden sie überhaupt zu einem Gegenstand unserer bewussten Aufmerksamkeit. Andernfalls verwirft sie schon unsere vorbewusste Informationsverarbeitung und bildet neue Hypothesen, stellt Zusammenhänge auf anderen Ebenen her.
 
Aus der kommunikationstheoretischen Perspektive ist nur ein bestimmter Ausschnitt aus solchen Analogien interessant: Es werden nur Struktur- bzw. Prozessähnlichkeiten berücksichtigt, die auf dem Felde der Informationsverarbeitung und der Vernetzung liegen. Oder anders ausgedrückt: Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler betrachtet die Objekte als informationsverarbeitende Systeme oder als Netzwerke von Kommunikatoren und sucht nach strukturellen Ähnlichkeiten zwischen ihnen – und zwar letztlich nach solchen, die auch von den Objekten selbst bemerkt werden. Dabei kann induktiv von beliebigen empirischen Phänomenen oder deduktiv vorgegangen werden. Induktives Vorgehen kommt in Forschungsprozess vor allem dann vor, wenn den Forschern im Datenmaterial, welches sie ursprünglich mit ganz anderen Absichten erhoben hatten, Spiegelungen ‘auffallen’. Stellt sich zugleich die Vermutung ein, dass diese Spiegelungen etwas mit dem Untersuchungsthema zu tun haben könnten, wird man ihnen nachgehen.
Ein Beispiel für systematisches deduktives Vorgehen wäre, wenn wir vorab Hypothesen darüber entwickeln, wie sich körperliche Krankheiten in sozialem Verhalten spiegeln. Man setzt damit biogene (medizinische) Objekte zu sozialen in Beziehung.
 
Spieglung zwischen Krankheiten und Institutionen
 
Das sind artverschiedene Phänomenbereiche, die üblicherweise im Wissenschaftsbetrieb strickt getrennt gehalten werden. Für jeden Bereich ist jeweils eine Disziplin zuständig, in diesem Fall wären dies Medizin und Soziologie. Systematisch vergleichbar werden diese artverschiedenen Objekte vor dem Hintergrund der kommunikationswissenschaftlichen Konzepte von Informationsverarbeitung und Vernetzung. Die erste Aufgabe für den Forscher besteht dann – im erwähnten Beispiel – darin, eine kommunikationstheoretische Deutung der Krankheit vorzunehmen: Wie lässt sich die Krankheit als gestörte Kommunikation verstehen? Welche Strukturen und Abläufe sind typisch?
Im zweiten Schritt werden aus den entsprechenden – überprüften – Modellen Hypothesen über soziale Kommunikationssysteme abgeleitet: Wenn in diesem System ähnliche Defekte vorkommen, welche Abläufe und Interaktionsstrukturen sind dann zu erwarten? Im nächsten Schritt können dann geeignete empirische Situationen aufgesucht werden, um diese Hypothesen zu überprüfen.
 
Im Ergebnis spiegelungstheoretischer Untersuchungen wächst unser Verständnis über den inneren Zusammenhang der vielfältigen Elemente unserer Kultur. Zwar lassen sich, wie die Erfolge der neuzeitlichen Wissenschaften belegen, die Phänomene isoliert betrachten, aber sie fungieren auch als Knoten in Netzwerken. Holistische oder transdisziplinäre Ansätze besitzen eine Berechtigung, weil die Phänomene selbst vernetzt sind und im Informationsaustausch stehen.
Die ontologisch-spiegelungstheoretische Dimension orientiert genau auf die Erforschung des Zusammenwirkens dieser ganz unterschiedlichen Phänomene.