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Kommunikation als Generalmetapher |
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Die chaotische Ausbreitung von Kommunikationsmodellen und die Notwendigkeit ihrer gesellschaftlichen Selektion | |
Monographien über 'Kommunikation' beginnen nicht selten mit der Feststellung der folgenden Paradoxie: Einerseits sei Kommunikation eine Bedingung menschlichen Lebens von Anfang an, andererseits sei eben diese Bedingung so gut wie gar nicht erforscht.[1] Das Phänomen gleiche eher einem 'Dschungel' und die Kommunikationsforscher Entdeckern, die sich mühsam und nur zu oft erfolglos einen Weg durch diese Terra incognita zu bahnen versuchen.[2]Je mehr Forscher aufbrachen, um diesen Urwald zu erkunden, desto stärker breitete er sich aus. Seit den 60er Jahren ist der Ausdruck 'Kommunikation' in der Umgangsprache zu einer Generalmetapher geworden. "Kommunikation kann heute alles heißen"[3], stellte denn auch 1980 Thomas Luckmann in einem Lexikonartikel fest. Dieser Eindruck beschränkt sich keineswegs nur auf den Alltag. Praktisch jede wissenschaftliche Disziplin entdeckte in ihrem Bereich 'Informationen' und 'Programme' als Untersuchungsgegenstände und bezeichnete wichtige Prozesse als 'Kommunikation'. Die anfangs ausbleibenden Beschreibungserfolge haben in den 60er und 70er Jahren zu der Überzeugung geführt, Kommunikation sei gar nicht mehr als ein Problem einer bestimmten Disziplin zu fassen, sondern ein Phänomen mit einem 'unbezweifelbar interdisziplinären Charakter'.[4] Man nahm Kommunikation als ein 'allgegenwärtiges Phänomen, das viele traditionelle Grenzen sprengt', als ein 'uneheliches Kind vieler Disziplinen' wahr.[5] Entsprechend erschienen in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Sammelbände, in denen das 'Phänomen' Kommunikation vom Standpunkt verschiedener Disziplinen und aus verschiedenen Perspektiven beschrieben wurde.Zu einem disziplinenübergreifenden Konsens über ein allgemeines Kommunikationsmodell ist man bis Ende der 90er Jahre nicht gelangt.[6] In den letzten Jahren hat die Kommunikationswissenschaft in Deutschland die Suche praktisch aufgegeben und sich mit der Zusammenstellung verschiedener Modelle zwischen zwei Buchdeckeln begnügt. Beispielhaft ist hier der Sammelband von Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt und Siegfried Weischenberg (Hrsg.) 'Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft' (Opladen 1994). Im Titel wird zwar trotzig an der einen Wirklichkeit der Medien und einer Kommunikationswissenschaft festgehalten, aber die Artikel belegen das genaue Gegenteil. Treffender lautete der Titel: 'Die Wirklichkeiten der Medien, viele Einführungen in viele Kommunikationswissenschaften.'Viel größere Erfolge konnten unterdessen diejenigen verbuchen, die sich weniger mit der sozialen Kommunikation als vielmehr mit der technischen Informationsverarbeitung beschäftigten. Sie konstruierten seit den 40er Jahren ihre Rechenmaschinen, reflektierten deren Prinzipien und machten die Informatik Zug um Zug zu einem etablierten Wissenschafts- und Wirtschaftszweig. Die leitende Frage war in diesem Kontext nicht: "Was ist Kommunikation?" sondern: "Wie müssen Maschinen konstruiert werden, die bestimmte Leistungen der Informationsverarbeitung erbringen sollen?" Zunächst spielte dabei der Kommunikationsbegriff überhaupt keine Rolle. Zentrale Bedeutung gewann vielmehr der Informationsbegriff. Erst neuerdings verwendet man gelegentlich in diesem Kontext den Begriff der Kommunikation, wenn es um die Vernetzung von informationsverarbeitenden Systemen geht.Die in unserer Gesellschaft allenthalben greifbaren Erfolge der technischen Informatik blieben nicht ohne Eindruck auf jene, die sich mit tierischen, menschlichen, psychischen, medizinischen und anderen Systemen und deren Dynamik befassten. Sieht man einmal von der deutschen Publizistik und Buchwissenschaft ab, die hier ein erstaunliches Immunsystem entwickelt hat, so finden die Konzepte von Informationsverarbeitung, Speicherung, Programmen, Vernetzung, Rückkopplung, Systembildung usf. Eingang in die Beschreibungen der klassischen Einzelwissenschaften. Und natürlich findet die Sprache der Informatik auch Eingang in den Alltag und lenkt die Aufmerksamkeit auf Merkmale, die bislang kaum beachtet wurden. | |
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[1] | So z.B. Klaus Merten (Kommunikation: Eine Begriffs- und Prozessanalyse. Opladen 1977): "Die Unabdingbarkeit von Kommunikationsprozessen für alle sozialen Prozesse steht in einem merkwürdigen Missverhältnis zum Stand und Stellenwert ihrer wissenschaftlichen Analyse." (S. 12) "Es gibt weder eine Theorie der Kommunikation noch lassen sich bislang tragfähige Ansätze dazu aufzeigen. Offensichtlich ist die Alltäglichkeit von Kommunikation, ihre als selbstverständlich angenommene und in Ansprch genommene Simplizität der wissenschaftlichen Analyse nicht förderlich, sondern, wie bei vielen anscheinend selbstverständlichen Phänomenen, eher hinderlich gewesen." (S. 9). | |
[2] | Vgl. z.B. Alfred G. Smith, der die Situation bei der Erforschung 'menschlicher Kommunikation' folgendermaßen schildert: "Many explorers have beaten paths through these jungles, not only mathematicans, but other kinds of anthropologists, linguists, psychologists, and sociologists as well and also ethologists, journalists, management engineers, philosophers, semanticists, and many more. Some of these paths cross, some go in circles, and some lead into other jungles." In: Smith, Alfred G. (Hg.): Communication and Culture - Readings in the codes of human interaction. New York/Chicago usw. (Holt, Rinehart and Winston) 1966, S. 8. | |
[3] | So Th. Luckmann in seinem Lexikonatikel 'Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation'. In: H. P. Althaus, Henne, Wiegand (Hg.): Lexikon der Germanistischen Linguistik, Band 1, Tübingen 1980, S. 28-41. | |
[4] | So Merten in seiner für diese Thematik außerordentlich instruktiven 'Bestandsaufnahme zur Kommunikationsforschung'. Ders. 1977, S. 12. | |
[5] | Lee Thayer 1967: Communication. Theory and Research. Proceedings of the First International Symposion. Springfield III., zitiert nach Merten 1977, S. 12. | |
[6] | Colin Cherry
setzt auch in der dritten Auflage seines Standardwerks 'On Human Communication'
(Cambridge/London (MIT-Press) 1978) die folgende Bemerkung an den Anfang
und in 'kursiv': "At the time of writing, the various aspects of
communication, as they are studied under the different disciplines, by no
means form a unified study; there is a certain common ground which shows
promise of fertility, nothing more." S. 2. Kenneth K. Sereno, University of Southern California/C. David Mortensen, University of Washington (ed.): 'Introduction, Foundations of Communication Theory' (New York, Evanston, and London (Harper & Row Publishers) 1970) weisen in ihrer Einleitung darauf hin, dass mehr als zwanzig Disziplinen mit Kommunikationsanalysen beschäftigt sind, und fahren fort: "Clearly, then, the so called 'science of human communication' is not in any strict sense, a single discipline at all ... though astoningly popular as an object of research, the field of human communication has not established any sharply defined boundaries of domaines." (1970, S. 2) Auch unter den Autoren, die sich explizit als 'Kommunikationswissenschaftler' bezeichnen, besteht kein Konsens über die Theorien, die für ihren Objektbereich konstitutiv sind. Als ein typischer Vertreter dieser Richtung sei G. Ungeheuer zitiert, der feststellt, "dass bei aller Beachtung kommunikativer Verhaltensweisen menschlicher Individuen es weder hinreichend ausgearbeitete Kommunikationstheorien gibt noch ausreichende Explorationen der Phänomene selbst ... Was üblicherweise als Theorie angeboten wird, ist entweder zu einseitig, zu eng oder zu inadaequat." (1972, S. 201) |
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