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Krise der 90er Jahre - Die dritte Phase |
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Aus: Eine
europäische Informationsgesellschaft für alle.
Abschlußbericht der Gruppe hochrangiger Experten, April 1997, Einleitung.
Die Gruppe hochrangiger Experten (HLEG) wurde im Mai 1995 mit der Aufgabenstellung gebildet, die sozialen Aspekte der Informationsgesellschaft (IG) zu untersuchen. Bis zu diesem Zeitpunkt konzentrierte sich die Diskussion um die entstehende IG vor allem auf die technologischen und infrastrukturellen Herausforderungen sowie das geeignete wirtschaftliche Umfeld zur Förderung der Verbreitung und Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Wie wir in unserem im Januar 1996 veröffentlichten Zwischenbericht Erste Überlegungen [1] festgestellt haben, war die Vernachlässigung sozialer Fragen bis zu einem gewissen Grad verständlich. Die durch die digitale Verschmelzung der Informations- und Kommunikationstechnologien ausgelöste Diskussion ist Ausdruck der langgehegten Besorgnis, daß Europa in wichtigen Spitzentechnologien, wie z.B. Halbleitertechnik, Mikroelektronik und anderen IKT, die für seine Wettbewerbsfähigkeit insgesamt für entscheidend erachtet werden, den Anschluß verpaßt. Trotz einer Reihe langfristiger Maßnahmen zur Förderung der Forschung (Durchführung der Rahmenprogramme [2]) während der achtziger Jahre, war oftmals gerade in jenen IKT-nahen Bereichen eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu verzeichnen, die im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen (FuE) [3] am stärksten unterstützt wurden. In den neunziger Jahren verlagerte sich die Zielrichtung der Politik im Zuge der weiteren Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes immer stärker auf das wirtschaftliche Umfeld, insbesondere die in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden ordnungspolitischen Rahmenbedingungen im Telekommunikationssektor, die sich mit dem Entstehen neuer Informations- und Kommunikationsdienste zunehmend als überholt erwiesen. Heute, da die politischen Debatten über die Notwendigkeit von Deregulierung und Liberalisierung des Telekommunikationssektors zum Abschluß kommen, tritt die Diskussion in eine dritte Phase ein und widmet sich der Vielzahl bislang vernachlässigter und mitunter unerwarteter sozialer Aspekte der IG. Es ist nicht unsere Absicht, mit der Wahl dieses Ansatzes die Behauptung zu verbinden, daß es zu diesen umfassenderen Problemstellungen über Jahre hinweg keine Forschungstätigkeit oder politische Debatte gegeben hat. Auch wollen wir damit keinesfalls behaupten, daß die Kommission sich nicht mit einer Reihe dieser Punkte beschäftigt hat [4].Vielmehr möchten wir zum Ausdruck bringen, daß diese Themen nicht im Mittelpunkt der politischen Debatte gestanden haben. In unserem Zwischenbericht haben wir ein Zukunftsbild entwickelt, das auf den enormen Möglichkeiten beruht, die die neuen IKT bieten können, wie zum Beispiel das Potential für eine beträchtliche Produktivitätszunahme und für die Entwicklung neuer und verbesserter Produkte und Dienstleistungen. Gleichzeitig haben wir darauf hingewiesen, daß die Umwandlung dieses Potentials in einen tatsächlichen Zuwachs an Produktivität, Lebensstandard und Lebensqualität einen langwierigen Prozeß des Lernens und des institutionellen Wandels erfordert. Technologien sind ihrem Wesen nach weder gut noch schlecht, so haben wir argumentiert, doch Art und Umfang ihres Nutzens hängen davon ab, wie sie eingesetzt werden. Hinzu kommt, daß dieser Nutzen nicht automatisch allen Bereichen der Gesellschaft zugute kommt [5]. Seit der Veröffentlichung unseres Zwischenberichts hat das Forum zur Informationsgesellschaft (ISF), eine ebenfalls von der Europäischen Kommission eingesetzte, auf einer breiten Basis beruhende Nutzer-Experten-Gruppe, seinen ersten Jahresbericht erstellt [6], der eine ähnliche und ergänzende Argumentation enthält. Das Forum wird im Ergebnis seiner weiteren Tätigkeit in künftigen Beiträgen zweifellos noch detailliertere Vorschläge und Empfehlungen unterbreiten. Weitere europäische und nationale Experten- und Beratungsgruppen wurden gebildet, von denen einige dabei sind, politische Schlußfolgerungen zu formulieren [7]. Ende 1996, nahm die Kommission ihren Aktionsplan Europa als Wegbereiter der globalen Informationsgesellschaft an, in dem auf die vielen mit der entstehenden IG verbundenen sozialen Herausforderungen hingewiesen wird [8]. Mit anderen Worten, der Problemkreis hat sich rasch ausgeweitet, und die sozialen Aspekte der entstehenden IG rücken an die Spitze der politischen Tagesordnung auf. Wir begrüßen diese Verlagerung der Prioritäten außerordentlich und hoffen, daß der Zwischenbericht der Gruppe hochrangiger Experten und die sich daran anschließende Debatte einen bescheidenen Beitrag dazu geleistet haben. Es mag etwas vermessen sein, wenn wir schlußfolgern, daß eine der ersten Aufgaben, die wir uns gestellt haben, damit erfüllt ist. |
[1] Eine
europäische Informationsgesellschaft für alle, Erste Überlegungen der Gruppe
hochrangiger Experten, Zwischenbericht, Januar 1996. [2] Die unter der Bezeichnung FTE (Forschung und technologische Entwicklung) bekannten Rahmenprogramme waren systematisch auf die IKT als oberste Priorität der europäischen Forschungsförderung ausgerichtet. Das gegenwärtig laufende vierte Rahmenprogramm widmet über ein Viertel der gesamten Forschungsförderung IKT-Programmen (Informationstechnik, Telematik und ACTS). Für uns schließt die IG mehr als nur die Nutzung dieser Technologien ein. [3] Siehe z.B. den jüngsten Bericht Enabling the Information Society: Supporting Market-Led Developments, Ministry of Economic Affairs, Booz-Allen & Hamilton, Januar-Februar 1997. [4] Angefangen vom 1994 ins Leben gerufenen Aktionsplan Europas Weg in die Informationsgesellschaft [5] Eine europäische Informationsgesellschaft für uns alle..., S. i. [6] Networks for People and their Communities: Making the Most of the Information Society in the European Union, Erster Jahresbericht des Forums zur Informationsgesellschaft an die Europäische Kommission, Juni 1996. [7] So z.B. die Gruppe hochrangiger Experten zur Informationsgesellschaft (siehe deren jüngste Empfehlungen vom Januar 1997), die Andersen-Ienm-Studie Strategic Developments for the European Publishing Industry towards the Year 2000 (1996), und the KPMG-Studie Public Policy Issues Arising from Telecommunications and Audiovisual Convergence (September 1996). [8] Wie z.B. die Notwendigkeit des lebensbegleitenden Lernens (Investieren in die Zukunft) und die Bedeutung der Qualität des privaten und des Erwerbslebens (im Mittelpunkt der Mensch). |