zurück zur Gliederung Modul 05

05 Verarbeiten

zurück zur Gesamtgliederung

Essay Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Informationsverarbeitung

In unserem täglichen Leben begegnen wir beständig Unterschieden zwischen Frauen und Männern. Die Diskussion, ob und welche dieser Unterschiede genetisch bedingt sind und welche schlicht auf einer anderen Erziehung beruhen, erregt die Gemüter. Im allgemeinen werden Frauen Eigenschaften zugeschrieben, die eher in Verbindung mit der rechten Gehirnhälfte (Gefühl) stehen und Männern solche, die aus der Tätigkeit der linken Gehirnhälfte (Verstand) zustande kommen sollen.
 
Beispiel Die neueren Forschungen innerhalb der Neurowissenschaften liefern hierzu interessante Ergebnisse. So gibt es z.B. Unterschiede darin, welche Hirnareale bei Sprachaufgaben benutzt werden. Das Sprachzentrum von Männern ist in der Regel (bei Rechtshändern) in der hinteren linken Hirnhälfte lokalisiert (Abb. 6). Frauen dagegen nutzen bei bestimmten Sprachaufgaben auch ihre rechte Hirnhälfte. So zeigen Männer und Frauen die gleichen Durchblutungsmuster (Hirnaktivitätenmuster) in Tests, in denen es darum geht Buchstabenfolgen zu untersuchen. Anders sieht es aus bei Tests, in denen unterschieden werden muss, ob sich bestimmte Wörter reimen oder nicht. Hier benutzen Männer nur die linke Seite des Gehirns, während Frauen auch die rechte Seite benutzen. Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass der hintere Bereich des Balkens (Abb.6), der die beiden Hirnhälften miteinander verbindet, bei Frauen voluminöser ist. Und je größer der hintere Balken bei Frauen ist, desto größer ist den Sprachempfinden.
  Männer zeigen in den Bereichen der rechten Hirnhälfte eine erhöhte Kapazität für räumlich visuelles Sehen. Frauen nutzen denselben Bereich für die Verarbeitung sprachlicher Information. Bei räumlich visuellen Aufgaben schneiden sie in der Regel auch besser ab als Frauen. Dieser Unterschied zwischen Männern und Frauen beruht nicht auf der unterschiedlichen Sozialisation (Erziehung) von Männern und Frauen.

Den Ausschlag für diese unterschiedliche Entwicklung liefern die Hormone. Vor allem Testosteron, das wichtigste männliche Geschlechtshormon sorgt dafür, dass bei Jungen die beiden Gehirnhälften asymmetrisch arbeiten. Möglicherweise bewirkt Testosteron, dass schon beim Kleinkind die Entwicklung der rechten Hirnhälfte gefördert wird, so dass sich dort die Region, die für die Bewältigung räumlich-visueller Aufgaben verantwortlich ist, besser entwickeln kann.
Weiterhin wird spekuliert, dass es parallel zu einer Art Wettbewerb zwischen den beiden Hirnhälften kommt: Wenn weibliche Babys beim Sprechen lernen beide Hemisphären nutzen, dann machen sich auch die Sprachzentren auf beiden Seiten des Gehirn breit. Für die Entwicklung räumlicher Fähigkeiten würde dann einfach weniger Platz bleiben.
Ein Indiz dafür, dass Hormone tatsächlich eine Rolle spielen liefert die Entwicklung von Jungen und Mädchen mit einer Nebennierenüberfunktion. Die Nebenniere liefert dann zu viele männliche Hormone. Dieser Überschuss hat keinen Effekt auf männliche Feten, während Mädchen teilweise mit äußeren männlichen Geschlechtsorganen geboren werden. Mit einer Operation - in weniger schweren Fällen mit einer Hormonbehandlung - kann man die weiblichen Geschlechtsorgane der Säuglinge wiederherstellen.
Dennoch sind Mädchen mit Nebennierenüberfunktion gesuchte Testpersonen. Weil sie sich durch die Behandlung bald nach der Geburt äußerlich nicht von anderen Mädchen unterscheiden, werden sie von ihren Eltern, Geschwistern oder Lehrern auch wie alle anderen behandelt (was allerdings in Studien immer wieder überprüft wird, indem die Eltern (von normalen und denen mit Nebennierenüberfunktion) befragt werden. Deren Aussagen in Bezug auf die Behandlung ihrer Mädchen werden dann verglichen. So kann man an diesen Mädchen den Einfluss der männlichen Hormone auf ihr Denkvermögen erforschen und dabei ausschliessen, dass sie von ihrer Umwelt anders behandelt worden sind, als andere Mädchen.
Kinder wurden in ein Zimmer mit verschieden Spielzeugen ('Mädchensachen' wie Puppen, Puppenküche etc. und 'Jungensachen' wie Bauklötze, Autos, sowie neutrales Spielzeug wie Bücher und Puzzle) gebracht, in dem man sie spielen liess. Die Kinder wurden gefilmt, und Beobachter, die nichts über sie wussten mussten anhand der Aufnahmen messen, wie lange Jungen und Mädchen mit welchen Sachen spielen.
Das Ergebnis: Die Mädchen mit dem Hormondefekt verbrachten wesentlich mehr Zeit mit Bauklötzen und Autos und interessierten sich weitaus weniger für Puppen als ihre Altersgenossinnen ohne Hormonprobleme. Die Jungen deren Testosteronspiegel vor der Geburt außergewöhnlich hoch war, unterschieden sich in ihrem Verhalten dagegen nicht von ihren 'normalen' Geschlechtsgenossen.
In anderen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass auch das Abschneiden von Erwachsenen bei Intelligenztest von ihrem derzeitigen Hormonspiegel abhängt. Frauen leisten an verschieden Tagen ihres Zyklus unterschiedliche Leistungen bei räumlich-visuellen Aufgaben. Bei einem hohen Östrogenspiegel schneiden Frauen bei 'frauenspezifischen' Aufgaben besser und bei 'männerspezifischen' Aufgaben schlechter ab. Andererseits ist das räumliche Vorstellungsvermögen am besten während der Periode, in der die weiblichen Geschlechtshormone eine Tiefstand erreicht haben.
Auch Männer unterliegen ähnlichen Schwankungen in ihren geistigen Fähigkeiten. Sie erstrecken sich allerdings nicht über einen Monat, sondern über die Jahreszeiten. Es ist bekannt, dass Männer in der nördlichen Hemisphäre der Erde im Herbst höhere Testosteronspiegel aufweisen als im Frühjahr. Tatsächlich ist es so, dass Männer im Herbst bei räumlich-visuellen Tests besser abscheiden als im Frühjahr.
Testosteron und Östrogene so scheint es, spielen einen wichtige Rolle bei der Entstehung der Geschlechtsunterschiede im Gehirn. Sie geben allerdings eher die Richtung der Entwicklung vor. Was der Einzelne aus seine Stärken und Schwächen macht, bleibt ihm überlassen. Und schließlich können auch Frauen räumlich-visuell denken, genauso wie Männer sprechen können (!) - nur tun sie es eben auf unterschiedliche Weise.
 
 

 

zurück zur Gliederung Modul 05

05 Verarbeiten\Essay\Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Informationsverarbeitung

zurück zur Gesamtgliederung