Es gibt
zahlreiche Definitionen von 'Kommunikation' und alle Versuche, ein konsensfähiges
Metamodell zu schaffen, sind bislang gescheitert. Ich ziehe daraus die Schlussfolgerung,
dass offenbar mehrere Modelle erforderlich sind, um die Vielfalt biologischer,
psychischer, sozialer, technischer und vielleicht auch weiterer Kommunikationsformen
zu erfassen. Die einzelnen Definitionen lassen sich typischerweise unterscheiden,
indem man nach der paradigmatischen Kommunikationssituation sucht, die bei
ihrer Formulierung (meist unausgesprochen) zugrunde gelegt wurde. In dieser
Veranstaltung geht es um nicht technisierte soziale Kommunikation. Welcher
Kommunikationsbegriff ist sinnvoll, wenn man es lernen will, hilfreiche
Gespräche zu führen? Welches Konzept sensibilisiert uns am besten dafür,
die Produktivkräfte von Gesprächen zu erkennen und auszunutzen? |
Nicht sonderlich
hilfreich scheint mir für diese Aufgabe und die face-to-face Kommunikation
die gegenwärtig am meisten verbreitete Theorie zu sein, nach der Kommunikation
so etwas wie die Weitergabe von Wissen ist. Über kurz oder lang stellt sich
bei diesem Konzept immer die Vorstellung ein, man könne Information wie
ein Paket verschnüren und es dann dem anderen übergeben, wie der Postbote
sein Paket übergibt. |
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Ebenso ungeeignet scheint
mir die Annahme zu sein, man könne Informationen 'verteilen', wie man etwa
die Suppe auf verschiedene Teller verteilt. Diese Konzepte passen nicht
mit unserem informationstheoretischen Modell zusammen. Denn danach müssen
wir davon ausgehen, dass die Empfänger wie die Sender selbst autonome und
in sich abgeschlossene Systeme sind, die Umweltkontakt nur über ihre Wahrnehmung,
bzw. über ihr Verhalten herstellen können. Man kann ihnen nichts 'geben'
- sie müssen es sich 'nehmen'. Jeder muss für sich selbst wahrnehmen und
seine eigene Überzeugung bilden. Die alltägliche Formel vom 'den anderen
überzeugen' darf nicht zu wörtlich genommen werden. Im Grunde geht es darum,
ihm Gelegenheit zu geben, sich selbst zu überzeugen. |
Was wir also tun können
ist, für andere eine Umwelt zu schaffen (oder eine solche für diese zu sein),
die sie wahrnehmen können. Es geht darum, als Umwelt für den anderen
informativ zu sein. Und jedes Wort ist im günstigsten Fall eine relevante
Umwelt für unseren Gesprächspartner. |
Dies bedeutet u. a.,
dass eine direkte Kommunikation im Sinne einer ganz unmittelbaren Verknüpfung
zwischen den psychischen Systemen nicht möglich ist. Es ist immer ein (materielles)
Medium dazwischen geschaltet, und sei es im Minimalfall unser leibliches
Verhalten und im technisierten Fall die Zeitungen oder die Fernsehnachrichten.
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Geht man von diesen
Prämissen aus, dann wird Kommunikation unwahrscheinlich. |
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Modul 10: Kommunikationsstörungen |
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Darin unterscheidet
sie sich ganz wesentlich von der Informationsverarbeitung. Leider hat Paul
Watzlawick, der das wohl meistgelesene, theoretisch anspruchsvolle Buch
über die 'menschliche Kommunikation' geschrieben hat, diesen Unterschied
zwischen Informationsverarbeitung und Kommunikation nicht mit der notwendigen
Schärfe gemacht. Von ihm wird immer wieder der Satz zitiert: "Man kann nicht
nicht-kommunizieren." Richtig scheint mir die Überzeugung zu sein, dass
alle psychischen Systeme nicht aufhören können, Informationen wahrzunehmen
und zu verarbeiten. Kommunikation ist demgegenüber ein so voraussetzungsvoller
Prozeß, auch ein so anstrengender, dass ihn kein psychisches System dauerhaft
aushalten kann. Die Natur trägt dieser Tatsache dadurch Rechnung, dass wir
beispielsweise schlafen müssen, um uns zu regenerieren und das heißt auch,
um uns von Kommunikation zu erholen. |
Genau genommen hätte
ich eben von 'sozialer' Kommunikation sprechen sollen. (Das ist auch der
Fall, den Watzlawick bei seinem Diktum im Kopf hatte.) Ob, und wenn ja,
wann intrapsychische Kommunikation aufhört, ist eine andere Frage. Was nun
die soziale Kommunikation angeht, so kann man feststellen, dass die verschiedenen
Gesellschaften immer wieder selbst und zu den verschiedenen Zeiten in unterschiedlicher
Weise festgelegt haben, welche Gelegenheiten sozialen Kontaktes sie mit
dem Prädikat Kommunikation auszeichnen wollen. Wir haben es als soziale
Wesen mit anderen Worten selbst in der Hand, festzulegen, was wir als Kommunikation
verstehen wollen und was nicht. Aus diesem Grund ist die Frage, was Kommunikation
ist, auch wenig sinnvoll. Die Antwort kann ja immer nur lauten, Kommunikation
ist das, was bestimmte soziale Gruppen zu bestimmten Zeiten als solche festlegen.
Wir haben die Freiheit zu einer solchen Normierung. |
Aus informationstheoretischer
Sicht gibt es allerdings einige Vorgaben. Notwendige, aber nicht hinreichende
Bedingung für Kommunikation ist die Parallelverarbeitung von Informationen
durch unterschiedliche Prozessoren. Verständigung, in welcher Form auch
immer, scheint ausgeschlossen, wenn die Beteiligten nicht wenigstens ähnliche
Informationen verarbeiten. Dies setzt aber |
- gleiche Umwelt
- gleiche Informationsverarbeitungsprogramme und
- gleiche materielle
Strukturen, gleiche Hardware
voraus.
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Alle Sozialisation
und Kulturentwicklung lässt sich als ein Versuch verstehen, solche gleichen
Umwelten, Programme und Informationssysteme zu schaffen. Alle Normierungs-
und Standardisierungsprozesse, die wir in der Geschichte beobachten können,
dienen auch dazu, die Wahrscheinlichkeit von Parallelverarbeitung von Informationen
bei den Individuen zu erhöhen. Das Paradebeispiel für eine solche Normierung
ist die alphabetische Dressur unserer Artikulationsorgane, die Verbreitung
der 'Sprache'. Sprache ist in erster Linie ein Algorithmus, ein Code, nach
dem wir unsere Artikulationsorgane bewegen. Und da viele Menschen über den
gleichen Code verfügen, artikulieren sie ähnlich. Es ist dies eben der Sonderfall
einer Standardisierung von Effektoren und damit von einem Teil der Informationsverarbeitung.
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Diese ganzen Anstrengungen,
die sich ja dann in der Vermittlung der Schriftsprache in allgemeinbildenden
Schulen fortsetzt, sind nur notwendig, weil Verständigung unwahrscheinlich
ist. Wäre sie das unvermeidbare Ergebnis des Zusammentreffens von Individuen,
dann brauchten wir solche Normierungen nicht. |
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Um zu wissen, ob Parallelverarbeitung
von Umwelteindrücken stattfindet, muss jeder Gesprächspartner sein Verstehen
signalisieren, nach außen tragen - und dies muss wieder wechselseitig bemerkt
und gleichsinnig interpretiert werden. Logisch betrachtet ist dies ein unabschließbarer
Prozess, praktisch brechen wir ihn irgendwann, meist sehr zeitig, ab. Die
Signale werden als Feedback verstanden. Ein Spezialfall wäre davon die Metakommunikation:
Ich habe nicht verstanden, was du gesagt hast! |
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Übungen in Modul 10: Feedback, Blitzlichtvorbereitung, Metakommunikation |
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In jedem Fall scheint
soziale Kommunikation die Wahrnehmung der Wahrnehmung des anderen, die Selbstwahrnehmung
und die Wahrnehmung des Selbst in dem Gesprächssystem vorauszusetzen. Diese
Verknüpfung von wechselseitigen Prozessen der Wahrnehmung und der Rückmeldung
von Wahrnehmungen erst führt zur Bildung von sozialen Kommunikationssystemen.
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Modul 10: Bewältigung von Störungen |
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Aber dies ist natürlich
streng genommen schon ein Versuch, einen bestimmten Kommunikationsbegriff
durchzusetzen. Niemand kann es uns vorschreiben, Rückkopplung zur notwendigen
Bedingung eines erfolgreichen Gesprächs zu machen. Ich halte es aber für
sinnvoll, genau dies zu tun. Die Gründe dafür sind durchaus außerwissenschaftlicher
Natur. Es scheint mir günstig, einen Begriff von Kommunikation zu propagieren,
der Wechselseitigkeit, Selbstwahrnehmung und eben auch die Rücksicht auf
den anderen fordert. Ein solcher Kommunikationsbegriff entspricht demokratischen
Grundprinzipien und er erscheint mir als ganz geeignet, um drängende Probleme
unserer Zeit besser in den Griff zu bekommen. |
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