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Excerpt Auszug aus Excerpt von M. Giesecke
‚Der Mensch mit dem wir leben' - Ein Handbuch unseres Verhaltens von Desmond Morris

 
Wegen der Bedeutung dieses Phänomens für jegliche Kommunikationstheorie und -analyse sei der vollständige Textabschnitt von Morris nachfolgend wiedergegeben.
 
Das Haltungs-Echo
Wie Freunde und Liebende unbewußt gleich handeln
 
Wenn zwei Freunde zwanglos miteinander reden, nehmen sie in der Regel ähnliche Körperhaltungen ein. Sind sie besonders eng befreundet und haben sie die gleichen Auffassungen über die gerade besprochenen Themen, dann werden ihre Körperhaltungen noch ähnlicher, und zwar in so starkem Maße, daß man sie für gegenseitig kopiert halten könnte. Es handelt sich jedoch nicht um bewußte Imitation. Die beiden Freunde geben sich vielmehr ganz automatisch einem solchen "Haltungs-Echo" hin und finden darin unbewußt eine Art körperlichen Ausdrucks ihrer Freundschaft. Das hat seinen Grund. Eine echte freundschaftliche Bindung ist gewöhnlich nur zwischen zwei Menschen von etwa gleichem gesellschaftlichem Status möglich. Diese Gleichheit wird in vielfältiger Weise indirekt demonstriert, aber sie wird bei persönlichen Begegnungen noch verstärkt durch gleichartige Körperhaltungen etwa der Ent-spanntheit oder der Anspannung. Auf diese Weise vermittelt der Körper stumm die Botschaft: "Schau her, ich bin genauso wie du!" Diese Botschaft wird unbewußt übermittelt und ebenso verstanden. Freunde fühlen sich einfach wohl, wenn sie zusammen sind (siehe auch Farbabbildung F 18, Seite 88).
Die Präzision des Haltungs-Echos kann einen erstaunlich hohen Grad erreichen. Zwei Freunde, die sich in einem Restaurant unterhalten, stützen den gleichen Ellenbogen auf den Tisch, neigen ihren Körper im gleichen Winkel vor und nicken zustimmend im gleichen Rhythmus. Zwei andere Freunde, die sich in Sesseln gegenübersitzen, kreuzen ihre Beine auf genau die gleiche Art und legen beide einen Arm in den Schoß. Wenn zwei Freunde an einer Mauer stehen und sich unterhalten, lehnen sich beide in der gleichen Haltung dagegen und stecken eine Hand in die Tasche.
Noch auffallender ist die Tatsache, daß Freunde auch im Gespräch ihre Bewegungen 'synchronisieren'. Ändert der eine seine Beinhaltung oder lehnt sich ein wenig zurück, tut es der andere auch. Zündet sich der eine eine Zigarette an oder trinkt etwas, dann versucht er den anderen ebenfalls dazu zu überreden. Gelingt ihm das nicht, ist er enttäuscht. Denn wenn sie nicht beide gleichzeitig rauchen oder trinken, geht ein wenig von der Gleichförmigkeit ihres Verhaltens verloren. In solchen Situationen besteht häufig der eine hartnäckig darauf, daß der andere 'mitzieht', selbst wenn offensichtlich nicht daran interessiert ist. Häufig gibt dann der andere widerstrebend nach, um den Gleichklang ihrer Handlungen aufrechtzuerhalten.
 
"Setz dich doch, es ist so unbequem zu stehen", ist eine häufige Aufforderrung, die zu;einem Haltungs-Echo führen kann. Freundesgruppen verhalten sich gewöhnlich so, daß sie Körperhaltung und Bewegungsrhythmus miteinander in Einklang bringen. Man bekommt dann subjektiv das Gefühl,
 
88   Wenn Freunde zusammen sind, die gleichen gesellschaftlichen Status und ähnliche Meinungen haben, dann nehmen sie oft eine beinahe identische Körperhaltung ein. Dieses Haltungs-Echo wird hier durch ein Beispiel illustriert: Das "Echo-Anlehnen".

89   Ein weiteres Beispiel für Haltungs-Echo: Verschlungene Beine.

daß man sich wohl fühlt. Dieses angenehme Gefühl kann eine einzige Person leicht dadurch zerstören, daß sie eine völlig andere Haltung einnimmt - etwa eine steifformelle oder unruhig-ängstliche. Obwohl der Betreffende kein störendes Wort sagt, kann er so die freundschaftliche Atmosphäre eines Treffens zerstören.
Ähnlich kritisch wird die Situation bei einer sehr lebendigen Zusammenkunft von Freunden, wenn einer von ihnen lethargisch im Sessel sitzt. Die anderen werden ihn zum Mitmachen auffordern und als "Spielverderber" bezeichnen, wenn er aus irgendeinem Grund nicht will. Der Betreffende selbst hat weder etwas Negatives gesagt noch die anderen bei ihrem Tun und Treiben aktiv gestört. Er hat lediglich das Haltungs-Echo der Gruppe zerstört.
Gleiches Verhalten entspricht einer auf gleichem Status beruhenden Freundschaft; daher können überlegene Personen diesen Gleichklang dazu benutzen, einem Unterlegenen das Gefühl der Entspannung zu vermitteln. Ein Therapeut kann seinem Patienten dadurch zur Entspannung verhelfen, daß er dessen Körperhaltung bewußt kopiert. Sitzt der Patient in seinem Stuhl ruhig und leicht nach vorn gebeugt, kann der Arzt, in umnittelbarer Nähe sitzend, eine ähnliche Haltung einnehmen. Auf diese Weise wird er rascher Kontakt zum Patienten bekommen, als wenn er selbst die typisch dominierende Stellung hinter seinem Schreibtisch einnähme.
Immer wenn ein Vorgesetzter einem Untergebenen begegnet, signalisieren beide ihre gegenseitige Beziehung durch ihre Körperhaltung. Der Untergebene kann eine solche Situation leicht manipulieren: Statt sich auf die Stuhlkante zu setzen und sich dienstbeflissen vorzubeugen, kann er sich voll zurücklehnen und seine Beine breit und bequem ausstrecken. Dadurch imitiert er sein Gegenüber mit höherem sozialen Status. Selbst wenn er sich dabei verbal höflich verhält, hinterläßt seine Haltung einen starken Eindruck, und ein Experiment in dieser Richtung sollte man sich für den Zeitpunkt unmittelbar vor seiner Kündigung bzw. Pensionierung aufheben wenn man nichts riskieren will.
Gelegentlich kann man zwei verschiedene Haltungs-Echos in der gleichen Gruppe entdecken. In der Regel hängt das mit der "Parteinahme" der einzelnen Gruppenmitglieder zusammen. Stehen drei Teilnehmer einer Diskussion vier anderen Teilnehmern gegenüber, dann bemühen sich die Mitglieder jeder Untergruppe, ihre Körperhaltung und -bewegungen aufeinander abzustimmen, und zwar so, daß sie sich deutlich von der anderen Untergruppe unterscheiden. Manchmal kann man sogar voraussagen, wann jemand in der Diskussion die Seiten wechselt, bevor der Betreffende dies mit Worten zum Ausdruck bringt: allein aufgrund der Tatsache, daß seine Körperhaltung sich derjenigen der anderen Untergruppe anzunähern beginnt. Wirkt ein Vermittler bei einer solchen Diskussion mit, wird er, um seine Neutralität zu betonen, auch eine "vermittelnde" Körperhaltung einnehmen, die Elemente aus den typischen Körperhaltungen beider Gruppe verbindet.
Neue Untersuchungen über derartige Situationen - bei denen zur Wahrnehmung auch subtilster Haltungsänderungen Zeitlupenaufnahmen gemacht wurden - haben ergeben, daß es sogar eine Art "Mikrosynchronie" ganz winziger Bewegungen gibt, die mit bloßem Auge kaum wahrzunehmen sind. Winzige, in Bruchteilen von Sekunden ablaufende Kopf-, Finger und Lippenbewegungen sowie kleinste Veränderungen der Körperhaltung erweisen sich als aufs schönste aufeinander abgestimmt, wenn zwei Menschen sich in "harmonischem" Gleichklang miteinander befinden. Die Rhythmik dieses Gleichklangs ist so außerordentlich subtil, daß man sie erst bei genauer Zeitlupenanalyse richtig wahrnimmt. Dennoch kann das menschliche Gehirn offensichtlich die allgemeine Bedeutung dieser Synchronie erfassen und reagiert darauf mit Sympathiegefühlen für die Personen, die unsere Körperhaltung spiegeln. Eine acht Jahre dauernde Untersuchung mit Zeitlupenaufnahmen von Menschen, die zwanglos miteinander plaudern, hat gezeigt, daß die Präzision beim Gleichklang der Bewegungen von Sprecher und Zuhörer so groß ist, daß sie sich innerhalb von 1/48 Sekunde vollziehen. Plötzliche, winzige Bewegungselemente setzen gleichzeitig beim Sprecher und beim Zuhörer ein. Während der Sprecher mit seinem Körper bestimmten Worten Nachdruck verleiht, macht der Zuhörer gIeichzeitig entsprechende Körperbewegungen mit. Je freundschaftlicher zwei Menschen einander gesonnen sind, desto mehr Gleichklang zeigt sich in ihrem Bewegungsrhythmus. In diesem Fall besteht das Echo jedoch mehr aus gleichem Rhythmus als aus genau gleicher Körperhaltung. Die beiden Partner kopieren nicht zwangsläufig die genauen Bewegungen des anderen, sondern eher das Tempo ihrer Darbietung. So kann beispielsweise der Sprecher zu seinen Worten Taktstock-Signale mit winzigen Kopf- und Handbe-wegungen geben, während der Zuhörer diesen Rhythmus durch minimale Körperbewegungen nachvollzieht. Eine wichtige Entdeckung machte man bei Filmaufnahmen von Unterhaltungen mit geistesgestörten Patienten Hier gab es kaum oder keinen Gleichklang - das Echo fehlte und mit ihm auch die Freundschaftsbeziehung. Gerade diese Tatsache trug in starken Maße zu dem Gefühl des Fremdseins bei, wenn man mit diesen Patienten zusammentraf und mit ihnen sozialen Kontakt aufzunehmen versuchte.
In jüngster Zeit sind in der amerikanischen Umgangssprache die Ausdrücke good vibes und bad vibes aufgetaucht - wobei unter vibes eine Abkürzung für vibrations (Schwingungen) zu verstehen ist -, und es scheint, als blitze hinter diesen Ausdrücken, die beschreiben, wie gut oder schlecht man mit einem anderen auf Anhieb "warm wird", ein intuitives Verständnis des Haltungs-Echos auf, dieses unbewußten Gleichklangs kleiner und kleinster Körperbewegungen, der für den Ablauf unserer täglichen Begegnungen mit anderen Menschen von so fundamentaler Bedeutung ist."
 

 

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