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Ecological Vision - Kommunikationsökologie |
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Aus: Barbara Mettler-von
Meibom/Matthias Donath: Kommunikationsökologie: Systematische und historische
Aspekte. Münster 1998. Begriff und Forschungsparadigma Der Begriff Kommunikationsökologie ist nach wie vor spröde und erklärt sich nicht von selbst. Verwendet wurde und wird er vor allem im Umfeld des Instituts für Informations- und Kommunikationsökologie [Essen], das Ende der 80er Jahre von einem breiten Bündnis aus Wissenschaft, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Kirchen und Medienberufen gegründet wurde. Daran haben auch Personen mitgewirkt, die sich in den verschiedensten Zusammenhängen zum kommunikationsökologischen Anliegen und Paradigma geäußert haben, wie z. B. Claus Eurich, Herbert Kubicek, Günter Schäfer, Barbara Mettler-v. Meibom und Wilhelm Trampe. Inzwischen gibt es auch im deutschsprachigen Raum erste theoretische Arbeiten aus der jüngeren Generation von Forschern, die sich entweder explizit oder implizit mit dem kommunikationsökologischen Ansatz befassen, wie z. B. Thomas Muntschick, Frank Schimmel, Carsten Fock sowie Matthias Donath in diesem Band. (S. 99) Kommunikationsökologie als Ansatzpunkt für Technikfolgenabschätzung Mit der Institutionalisierung des Instituts für Informations- und Kommunikationsökologie (IKÖ) wurde der Begriff in die öffentliche Debatte über Technikfolgen eingebracht. Die vor allem sozialwissenschaftliche Disziplin der Technikfolgenabschätzung geht zurück auf die späten 60er und frühen 70er Jahre, als sich allmählich das Wissen durchsetzte, daß technische Innovationen nicht nur erwünschte, sondern auch höchst unerwünschte und unerwartete Wirkungen haben können. (S. 104) Diese frühzeitig zu ermitteln, war eine politische Frage, doch zunehmend mehr auch eine Frage der ökonomischen Vernunft, insbesondere die Atomenergie war ins Gerede gekommen. Offensichtliche Sicherheitsmängel und öffentlicher Druck gegen Atomkraftwerke erwiesen sich als investitionshinderlich und letztlich kostenverursachend. Während Anfang der 80er Jahre das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie noch auf eine Befriedungsstrategie mittels Akzeptanzförderung hoffte, wurden zunehmend mehr Forderungen laut, man solle die Risiken technischer Innovationen klären, um ihnen frühzeitig präventiv entgegentreten zu können. Die medientechnischen Innovationen legten es insofern nahe, das Konzept der Technikfolgenabschätzung auf die Neuen Medien zu übertragen. Schon die Formulierung von Claus Eurich aus dem Jahr 1980 verweist auf den Zusammenhang von technischen Innovationen und Technikfolgen. Große öffentliche Forschungs- und Diskursanstrengungen sollten in den nächsten Jahren folgen. Hier ist insbesondere an die erste Enquètekommission des Deutschen Bundestages zum Thema Neue Informations- und Kommunikationstechniken 1981 1983 zu denken und an das Sotech-Programm der Landesregierung von NRW Mitte der 80er Jahre, das die ganze Palette der Technikfolgen von der Infrastrukturentwicklung bis hin zu Arbeitswelt und Alltag thematisierte.[1] In einem der ersten Projekte dieses letzteren Programms findet sich die Idee der Kommunikationsökologie wieder. Es handelt sich um das Großprojekt "Optionen der Telekommunikation. Materialien für einen technologiepolitischen Bürgerdialog", in dem eine interdisziplinäre ForscherInnengruppe vier Infrastrukturoptionen formulierte und im Hinblick auf ihre Wirkungen in ausgewählten Anwendungsfeldern mit Hilfe der Szenarientechnik untersuchte.[2] Neben drei weiteren Optionen Postoption, Wettbewerbsoption, sozialtechnokratische Option wurde eine vierte sog. "Technikbegrenzungsoption" entwickelt, die dem kommunikationsökologischen Gedankengut entlehnt ist. Ausgehend von der bereits von Claus Eurich formulierten Annahme, daß die zwischenmenschliche Kommunikation Vorrang verdiene und geschützt werden müsse, wird hier ein Szenario formuliert, wonach diese Einschätzung in breiten Kreisen der Bevölkerung Zustimmung findet und zu einer Reformulierung der Politik im Sinne einer Technikbegrenzung führt. Konkret lagen dem Szenario infolge der technischen Entwicklung folgende Gefährdungsvermutungen zugrunde: (S. 105)
Quelle: OPTEK 1988, Bd. III/44 Die Technikbegrenzungsoption sah angesichts der Gefährdungsvermutungen vor, dem wachsenden Bedarf der geschäftlichen Anwender nach neuen Informations- und Kommunikationstechniken gerecht zu werden, nicht jedoch die Privathaushalte zu einem Markt für elektronische Güter umzufunktionieren. Dementsprechend waren die wichtigsten Elemente der Technikbegrenzung (OPTEK 1988 III/46):
Hinzu kamen Maßnahmen (vgl. OPTECK 1988 III/47)
Die Fertigstellung dieser Studie fiel bereits in eine Zeit, in der solches Wissen, selbst wenn es öffentlich finanziert war, unerwünscht war. (S. 106) Als gegenläufige Maßnahme zur Technisierung von Interaktion und Kommunikation und zur damit einhergehenden Entfremdung von den leiblichen Sinnen halte ich alles für wünschenswert, was die direkte, situationsbezogene, sinnlich-konkrete Auseinandersetzung mit Umwelt und Mitwelt, also die kommunikative Verankerung im hier und jetzt, unterstützt. Dazu dienen sowohl Maßnahmen der Technikgestaltung wie der Förderung des Sozialen, insbesondere:
Sucht man nach einer gemeinsamen Wurzel der ökologischen Sicht auf Kommunikationsverhältnisse, so ist es sicherlich das Bewußtsein dafür, daß der Mensch das wichtigste Kommunikationsmedium ist und folglich dessen Kommunikationsfähigkeit und kommunikative Einbindung in seine Mitwelt als Maßstab für die Zuträglichkeit technischer Innovationen gelten müssen. (S. 114) Die spirituelle Wende der Kommunikationsökologie Die Omnipräsenz der Medien steht dagegen in fundamentalem Widerspruch zu diesem grundlegenden Bedürfnis nach Erreichbarkeit für sich selbst, nach Kontemplation und Meditation, aus denen heraus eine Transformation des eigenen Denkens, Fühlens, Handelns erwachsen kann. (S. 118) Im Sinne dieser Perspektive geht es bei der Kritik unseres gegenwärtigen Projektes der Kommunikationsoptimierung um eine Kritik der geistigen Wurzeln dieses Projektes. Und es geht zugleich um die Suche nach den geistigen Wurzeln, die helfen, Kommunikation aus einem Geist der Achtsamkeit und des Mitgefühls für Menschen, Pflanzen und Tiere heraus zu gestalten und zu leben. Ausblick Unser Kommunikationsprojekt befindet sich in einer tiefgreifenden Wendephase und ebenso unser Denken über Kommunikation. Was selbstverständlich war oder schien, wird zur Herausforderung in einer Zeit, in der mit Hilfe technischer Kommunikationsmedien allerorten und zu allen Zeiten Kommunikation gezielt einer neuen Bahnung und Orientierung unterworfen werden kann. Damit werden Prozesse ungeahnten Ausmaßes in Gang gesetzt. Da Kommunikation ein lebendiges System ist, hat jeder instrumentelle Eingriff in die (Infra)Strukturen der Kommunikation weitreichende Folgen, die sich bis in die feinsten Verästelungen unseres menschlichen, sozialen und globalen Miteinanders auswirken. Die Folge ist ein Veränderungsprozeß, der unsere gesamten Kommunikationsverhältnisse ergreift. Welche Wirkungen dies haben kann, lehrt uns die Biosphäre. So wie Natur einst selbstverständlich war und infolge der Industrialisierung zum ökologischen Problem wurde, so schien zwischenmenschliche Kommunikation zwar nicht störungsfrei, doch irgendwo selbstverständlich. Im Zuge voranschreitender Informatisierung und Mediatisierung gerät sie nun zu einer kommunikations-ökologischen Aufgabe. Wir sind aufgerufen, unsere Kommunikation ökologisch zu gestalten. Dabei geht es um die Beziehung zu unseren inneren und äußeren Mitwelten. (S. 119) Aus einer ökologischen Sicht auf Kommunikation müssen wir uns daher heute dringender denn je Fragen stellen, wie:
Wie eine Gesellschaft kommuniziert, so ist sie dies ist eine alte Weisheit. Weil wir derzeit Kommunikation gezielt und umfassend in einem Ausmaß wie nie zuvor verändern, sind wir aufgerufen, Vorstellungen darüber zu entwickeln, wie sich dieser technisch betriebene Versuch der Kommunikationsoptimierung mit unserer Sehnsucht nach gelingender Kommunikation und somit nach dem Guten-Wahren-Schönen in der Kommunikation zur Übereinstimmung bringen läßt. Soll die sog. Informations- und Kommunikationsgesellschaft nicht nur ein wirtschaftliches Projekt sein, sondern auch unsere Beziehungen zur Mitwelt der Menschen, Pflanzen und Tiere verbessern, so sind wir gefordert, hier zu Antworten zu kommen gerade trotz und innerhalb der neuen kommunikationstechnischen Bedingungen, die wir uns schaffen. (S. 120) |
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[1] Das
Sotech-Programm "Mensch und Technik" des Landes NRW stellte rund
40 Mill. DM zur Erforschung der sozialen Dimension der neuen medientechnischen
Entwicklungen zur Verfügung. Die Ergebnisse wurden im Westdeutschen Verlag,
Opladen, publiziert. [2] Berger, Peter/Kubicek, Herbert/Kühn, Michael/Mettler-v. Meibom, Barbara/Voogd, Gerd (1988): OPTEK-Optionen der Telekommunikation. Band I-III. Hg. Vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Mensch und Technik. Sozialverträgliche Technikgestaltung. Materialien. Düsseldorf. |