Mit dieser Unwahrscheinlichkeit
der sozialen Kommunikation haben sich Philosophen und Soziologen schon seit
langem beschäftigt. Besonders gründlich hat Alfred Schütz3
dieses Thema aus einer wissenssoziologischen Sicht bearbeitet.
Wenn alles Erkennen von dem jeweiligen Standort des Erkenntnissubjektes
in Raum und Zeit und von dessen Vorerfahrungen und Relevanzsystemen abhängig
ist, wie können dann zwei Personen, die doch notwendig immer an unterschiedlichen
Orten 'stehen', nacheinander reden, eine andere Biographie und andere Wertmaßstäbe
haben irgendwelche Umweltausschnitte gleichsinnig wahrnehmen und interpretieren?
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Er hat darauf geantwortet,
das wir als soziale Wesen diese Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten
durch verschiedene Typen von Idealisierungen überwinden, deren Sinn
es ist, die Unterschiede zu verdrängen. Wir tun einfach so, als ob es diese
Unwahrscheinlichkeiten nicht gibt. Erst wenn Krisen auftauchen, wenn wir
also auf die Andersartigkeit unserer gespeicherten Informationen und Verarbeitungsprozesse
gleichsam mit der Nase gestoßen werden, fällt uns diese Problematik von
Kommunikation auf. |
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Soziologischer
Ansatz A. Schütz |
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Aus einer formaleren
informationstheoretischen Perspektive heraus betrachtet, kann
man die Parallelverarbeitung von Informationen dadurch wahrscheinlicher
machen, dass man die Hard- und Software der beteiligten Prozessoren aneinander
angleicht. Die Programme, die Speicher und die verwendeten Medien und Kodes
werden standardisiert. Technisch ist das kein großes Problem. Baugleiche
Rechenmaschinen, die mit identischen Programmen gefahren werden, können
den gleichen Text in ähnlicher Weise einlesen und auch wieder abgeben. |
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Je einfacher und damit
je künstlicher die Elemente der Kommunikationssysteme sind, um so leichter
werden identische Informationen erzeugt und gespeichert. Um so einfacher
ist es auch, die Verarbeitungsprozesse dieser Elemente miteinander zu koordinieren,
eine erfolgreiche Kommunikation zu gestalten. |
Bei sozialen Kommunikationssystemen,
deren Elemente meist auch natürliche Medien, wie die Schallwellen oder das
Licht sind und deren Informationssysteme aus Menschen bestehen, die alle
notwendig eine unterschiedliche Biographie besitzen, ist dies weit schwieriger.
Aber auch hier hilft eine weitgehende Normierung (Standardisierung) des
Verhaltens und Erlebens - und zunehmend auch die Technisierung der Medien
und einzelner Elemente des Kommunikationssystems. |
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Neben den Gleichheitsidealisierungen,
der Technisierung und den sozialen und psychischen Normierungen gibt es
noch einen wichtigen Mechanismus, um die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation
zu bewältigen. Alfred Schütz hat ihn Idealisierung der Vertauschbarkeit
der Standpunkte und Perspektiven genannt: Wenn ich auf Deinem Platz stünde,
sähe ich die Welt genauso wie Du! |
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Ich glaube nicht, dass
es sich hier um eine bloße Unterstellung handelt. Zunächst ist es eine ganz
praktische Handlungsanweisung: Wenn Du die Sichtweise Deines Gegenübers
auf irgend etwas nicht verstehst, dann gehe zu ihm hin und stelle Dich auf
seinen Standpunkt! In diesem Sinne arbeitet man beispielsweise in psychodramatischen
Rollenspielen mit dem Rollentausch. Man schlüpft in die Rolle der Interaktionspartner,
um ein neues Verständnis der Interaktion zu gewinnen. |
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Zum anderen ist es
gar nicht immer erforderlich, dass wir uns körperlich durch Raum und Zeit
bewegen, um andere (!) Perspektiven einzunehmen. Wir haben in unserem Leben
aus den unterschiedlichsten Perspektiven und von vielfältigen Positionen/in
vielen Rollen Informationen gewonnen und Erfahrungen über deren Anwendungsmöglichkeiten
gesammelt. Auf diese gespeicherten Informationen können wir in den Gesprächen
zurückgreifen - und uns damit gedanklich durch viele andere Situationen
hindurch konjugieren. |
Informationstheoretisch
erscheint die Übernahme fremder Programme insoweit als eine Selektion aus
den eigenen Strukturen und Programmen. Wir Menschen sind als informationsverarbeitende
Systeme auch insofern überkomplex, als wir in jeder konkreten Situation
nur ganz wenige, der uns im Grunde zur Verfügung stehenden Programme gebrauchen.
Uns in andere Personen hineinzuversetzen, bedeutet deshalb meist auch, im
Moment ungenutzte Programme zu aktivieren, vergessene Positionen zu erinnern
etc. |
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So gesehen hat der
Standpunkt- und Perspektiventausch nicht nur einen Sinn für die interpersonale
Verständigung sondern auch für die intrapsychische Entwicklung. |
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3 (Der
sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie.
zuerst Wien 1932, Frankfurt 1974; Gesammelte Aufsätze Band 1: Das Problem
der sozialen Wirklichkeit. Den Haag (Niyhoff) 1971; gesammelte Aufsätze
Band 2: Studien zur soziologischen Theorie. Den Haag (Niyhoff) 1972) |
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