Fließtext Wahrnehmung als Informationsverarbeitung -
Das 'Drei-Komponenten-Modell':  Selektion - Konstruktion - Programmsteuerung (M. Giesecke)
 
Alle Informationen, über die wir verfügen, haben wir irgendwann wahrgenommen. Auch das Zuhören und Lesen sind Wahrnehmungsprozesse, bei denen wir die informativen Muster von Medien, Schallwellen, Muster auf Papier usw. aufdecken. Kompliziert wird die Informationsaufnahme zum einen dadurch, dass die Medien über sehr viele Merkmale verfügen, überkomplex sind.
Weil das Informationsangebot der Umwelt so vielfältig ist, ist die Wahrnehmung immer ein hochselektiver Prozess.
Sie ist auch deshalb selektiv, weil sie durch innere Programme gelenkt wird, durch unsere Gefühlslagen und Affekte, durch unsere latenten Erfahrungen und Wertvorstellungen und schließlich auch durch die bewussten Intentionen und Modelle. Sie ist drittens auch deshalb selektiv, weil wir über sehr viele Sinnesorgane verfügen und diese nicht immer gleichzeitig und gleichmäßig zur Informationsgewinnung einsetzen. Nur wenn das Briefpapier auffällig parfümiert ist, werden wir beispielsweise neben den Augen auch unsere Geruchsorgane einsetzen.
Unsere Wahrnehmung wählt aber nicht nur aus, sie fügt auch hinzu. Selbst wenn man bei der geschlossenen Tür nur eine Türklinke sieht, wird man annehmen, dass die Tür auch auf der anderen Seite eine Klinke besitzt. Viele Laute und manchmal ganze Worte können wir in der Rede des Gegenübers nicht verstehen, trotzdem vervollständigen wir seinen Text. Unsichere Umrisslinien von Buchstaben werden nebenbei ergänzt, und so manche unausgesprochenen Gedanken meinen wir dennoch verstanden zu haben.
Wahrnehmung ist insoweit nicht nur ein selektiver, sondern auch ein additiver Vorgang.
Für die menschliche visuelle Wahrnehmung haben Psychologen zu Beginn unseres Jahrhunderts eine Reihe von solchen ergänzenden, gestaltschließenden Regeln aufgestellt. Schema: Regeln visueller Wahrnehmung
Heute werden diese Grundzüge der Wahrnehmung oftmals als 'konstruktiv' bezeichnet. Es gibt also keine vollständige und schon gar nicht eine für alle Situationen und Personen richtige Wahrnehmung. Alles, was man tun kann, ist, seine spezifische Selektivität und Ergänzungsbereitschaft im Wahrnehmungsprozess in den verschiedenen Situationen besser kennenzulernen. Beispiel: Zusammenwirken von Selektion, Addition, Programmsteuerung
Kennt man sie, so kann man sie in Rechnung stellen, sie ggf. auch anderen mitteilen und so versuchen, größere intersubjektive Übereinstimmung bei Selektion und Projektion zu erreichen (dies ist übrigens auch der Weg, den alle beschreibende Wissenschaft geht). Wahrheit wird solchen Wahrnehmungen zugeschrieben, die nach sozial festgelegten Regeln erfolgt sind. Fliesstext: Konstruktivismus der Wahrnehmung

 


 
Übung: Der individuelle Wahrnehmungsprozess

 

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