Alle Informationen, über die wir verfügen, haben wir irgendwann
wahrgenommen. Auch das Zuhören und Lesen sind Wahrnehmungsprozesse, bei
denen wir die informativen Muster von Medien, Schallwellen, Muster auf
Papier usw. aufdecken. Kompliziert wird die Informationsaufnahme zum einen
dadurch, dass die Medien über sehr viele Merkmale verfügen, überkomplex
sind.
Weil das Informationsangebot der Umwelt so vielfältig ist,
ist die Wahrnehmung immer ein hochselektiver Prozess.
Sie ist auch deshalb selektiv, weil sie durch innere Programme
gelenkt wird, durch unsere Gefühlslagen und Affekte, durch unsere latenten
Erfahrungen und Wertvorstellungen und schließlich auch durch die bewussten
Intentionen und Modelle. Sie ist drittens auch deshalb selektiv, weil
wir über sehr viele Sinnesorgane verfügen und diese nicht immer gleichzeitig
und gleichmäßig zur Informationsgewinnung einsetzen. Nur wenn das Briefpapier
auffällig parfümiert ist, werden wir beispielsweise neben den Augen auch
unsere Geruchsorgane einsetzen.
Unsere Wahrnehmung wählt aber nicht nur aus, sie fügt auch
hinzu. Selbst wenn man bei der geschlossenen Tür nur eine Türklinke sieht,
wird man annehmen, dass die Tür auch auf der anderen Seite eine Klinke
besitzt. Viele Laute und manchmal ganze Worte können wir in der Rede des
Gegenübers nicht verstehen, trotzdem vervollständigen wir seinen Text.
Unsichere Umrisslinien von Buchstaben werden nebenbei ergänzt, und so
manche unausgesprochenen Gedanken meinen wir dennoch verstanden zu haben.
Wahrnehmung ist insoweit nicht nur ein selektiver, sondern auch ein additiver
Vorgang.
Für die menschliche visuelle Wahrnehmung haben Psychologen zu Beginn unseres
Jahrhunderts eine Reihe von solchen ergänzenden, gestaltschließenden Regeln
aufgestellt. 
Heute werden diese Grundzüge der Wahrnehmung oftmals als 'konstruktiv'
bezeichnet. Es gibt also keine vollständige und schon gar nicht eine für
alle Situationen und Personen richtige Wahrnehmung. Alles, was man tun
kann, ist, seine spezifische Selektivität und Ergänzungsbereitschaft im
Wahrnehmungsprozess in den verschiedenen Situationen besser kennenzulernen.

Kennt man sie, so kann man sie in Rechnung stellen, sie ggf. auch
anderen mitteilen und so versuchen, größere intersubjektive Übereinstimmung
bei Selektion und Projektion zu erreichen (dies ist übrigens auch der
Weg, den alle beschreibende Wissenschaft geht). Wahrheit wird solchen
Wahrnehmungen zugeschrieben, die nach sozial festgelegten Regeln erfolgt
sind.
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