Theoriediskussion Die drei Grundhaltungen des Beraters in der klientenzentrierten Gesprächsführung
 

Es sind im wesentlichen drei Grundhaltungen, die Rogers von einem guten Berater fordert:

 

  Echtheit,
  positive Wertschätzung,
  einfühlendes Verstehen.

 

Echtheit "ist die grundlegendste unter den Einstellungen des Therapeuten. ... Eine Therapie ist mit größter Wahrscheinlichkeit dann erfolgreich, wenn der Therapeut in der Beziehung zu seinem Klienten er selbst ist, ohne sich hinter einer Fassade oder Maske zu verbergen. Der theoretische Ausdruck hierfür ist Kongruenz; er besagt, dass der Therapeut sich dessen, was er erlebt oder leibhaftig empfindet, deutlich gewahr wird und dass ihm diese Empfindungen verfügbar sind, so dass er sie dem Klienten mitzuteilen vermag, wenn es angemessen ist." 1)  
Der Berater nimmt also wahr und teilt seine Wahrnehmung kontinuierlich mit. Das führt zu einem andauernden, gegenüber dem alltäglichen Verhalten überzogenen Feedback. Aber: er teilt seine ganz individuelle Wahrnehmung und dann auch seine Schlussfolgerungen mit, unterdrückt also weder seine Gefühle noch seine biographischen Erfahrungen. Er versteckt sich nicht hinter seiner (institutionellen) Rolle. Er ist deshalb für den Klienten 'transparent' und erleichtert es so, dass das Gespräch 'offen' abläuft.

Die Beratung klappt nach Ansicht von Rogers und seinen Anhängern weiterhin nur dann, wenn der Berater die Persönlichkeit des Klienten und die biographische Einbettung seines Problems akzeptieren kann. Kontakt zu der Person des Ratsuchenden kommt bei ihm vor dem sachlichen Problem. Entsprechend steht nicht die distanzierte und damit auch distanzierende Einordnung eines Problems, sondern eben die Person des Klienten im Mittelpunkt des Gesprächs. Diese nicht an sachliche Bedingungen gebundene Respektierung nennt Rogers: Positive Wertschätzung. Immer wieder warnt er davor, dass diese Form der Wertschätzung nicht bedeuten darf, von dem Gegenüber Besitz zu ergreifen. Vielmehr geht es darum, den anderen auch dann anzuerkennen, wenn man ihn nicht versteht. Er ist einzigartig und hat viele Gefühle und Entwicklungsmöglichkeiten, die der Berater nicht erahnen kann.

Vor allem muss der Berater lernen, nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Gefühle zu akzeptieren: "Dieses Akzeptieren sowohl der reifen wie auch der unreifen Impulse, der aggressiven wie der sozialen Einstellungen, der Schuldgefühle wie der positiven Äußerungen bietet dem Individuum zum ersten Mal in seinem Leben Gelegenheit, sich so zu verstehen, wie es ist. Es hat nicht mehr das Bedürfnis, seine negativen Gefühle zu verteidigen. Es hat keine Gelegenheit, seine positiven Gefühle überzubewerten. Und in dieser Situation treten Einsicht und Selbstverstehen spontan zutage." 2) 

Die Aktivitäten des Beraters bestehen im wesentlichen aus einer Verbalisierung seines einfühlenden Verstehens. Er versucht, das emotionale Erleben des Klienten (nicht objektive äußere Tatsachen), so wie es sich im Hier und Jetzt der Beratung am deutlichsten zeigt, nachzuvollziehen. Dazu muss er zunächst einmal zuhören können, und zwar empathisch und aktiv. Ein Gutteil der Schulung für den angehenden klientenzentrierten Berater besteht denn auch in der Übung des Zuhörens. Was er gehört hat, versucht er gewissenhaft zu formulieren, und er fragt dann den Klienten, ob sein Eindruck mit dessen Empfindungen übereinstimmt. Nur dieser kann entscheiden. Aber das setzt eben auch aktive Mitarbeit des Klienten und kontinuierliche Behandlung von Störungen auf der Kontaktebene voraus. Der Versuch des Beraters zu verstehen soll dem Ratsuchenden das Gefühl geben, verstanden zu werden.

Echtheit, positive Wertschätzung und einfühlendes Verstehen sollen die 'Selbstexploration des Klienten' erleichtern. Wenn er sich an diesen Eigenschaften des Beraters orientiert, dann wird er größere Möglichkeiten haben, sich anderen gegenüber offen, freier und weniger wertend zu verhalten, ihnen zuzuhören und sie besser zu verstehen. Der Inhalt der drei Grundbedingungen der Beratung mag noch deutlicher werden, wenn man sich mit nicht-adäquaten Verhaltensweisen (im Sinne von Rogers) beschäftigt. In der Fachliteratur kritisch behandelt werden beispielsweise die folgenden Interventionstypen: Bagatellisieren, Diagnostizieren, Dirigieren, Examinieren, sich Identifizieren, Interpretieren, Moralisieren und Intellektualisieren.

 

Ungeeignete Beraterinterventionen      

Empfehlungen von C. Rogers                  


  1a)   Bagatellisieren vs. Ernstnehmen der Gefühle/der Weltsicht des Klienten
  1b)   Gemeinplätze teilen/sich identifizieren vs. eigene Reaktionen erkunden und authentisch ausdrücken
  2a)   Fragen stellen vs. den Klienten Initiative und Richtung bestimmen lassen
  2b)   Rationalisieren vs. Übernahme der emotionalen Perspektive des Klienten;
     sich seinem Standpunkt annähern
  3a)   Dirigieren vs. Kraft zur Selbsthilfe geben
  3b)   schnelle Ratschläge vs. Ertragen der ungeklärten Situation
  4a)   Abwerten vs. positive Wertschätzung
  5a)   Übernahme der Perspektive des Klienten  

Ungeeignetes Beraterverhalten und die entsprechenden Empfehlungen von Rogers (Antwortstile)
(s. a. Übung: 'Einfühlendes Verstehen und klientenzentrierte Gesprächsführung')

 


 
1)  In: Rogers, Carl: Therapeut und Klient. München 1977, S. 26.
2)  In: Rogers, Carl: Die nicht-direktive Beratung. München 1985, S. 46.
 
Übung: Einfühlendes Verstehen und klientenzentrierte Gesprächsführung     Übung: Kritische Reflexionen nicht-adäquater Verhaltensweisen (nach Rogers)     Übung: Vertiefung des Verständnisses der drei Grundhaltungen von Rogers

 

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