Theoriefaden Multimedialität aus ökologischer Perspektive

 

 

Unter 'Multimedia' wird gegenwärtig zumeist das Zusammenwirken unterschiedlicher akustischer und visueller Medien auf digitaler elektronischer Basis verstanden.

Im ökologischen Sinne sind alle Ökosysteme und damit auch Menschen und Kulturen multimediale Netzwerke. Sie bestehen aus artgleichen und artverschiedenen Medien, die flexibel miteinander rückgekoppelt sind.

'Multimedia' ist insoweit nichts besonderes, sondern Voraussetzung aller ökologischen Überlegungen. Wenn nun eine multimediale Gestaltung der Kultur gefordert und Möglichkeiten allseitiger, synästhetischer Bildung gesucht werden, dann kann damit zunächst nur gemeint sein, dass diese Multimedialität akzeptiert wird. Diese Betonung macht Sinn, wenn wir davon ausgehen, dass eine synästhetische Bildung  in der Vergangenheit nicht üblich gewesen ist und dass auch jetzt noch andere Anschauungen herrschen. Das Gegenkonzept ist eine Hierarchisierung der (ökologischen) Zusammenhänge, eine Bevorzugung einzelner Medien und eine Unterdrückung anderer (Konzept der 'Leitmedien'). In diesem Sinne kann man dann von der Buch- und Industriekultur als einer vorwiegend visuellen und auf Standardsprachen fixierten Kultur sprechen - und sie etwa einfachen, 'oralen' Kulturen gegenüberstellen, die eher akustisch orientiert sind und das Gespräch als Vernetzungsmedium bevorzugen.

Kompliziert wird die Forderung nach Multimedialität, weil Prämierungen kein Betriebsunfall der Kulturgeschichte, sondern notwendige Prozesse sind: Auch ökologische Systeme kommen dadurch zustande, dass von der prinzipiell möglichen gleichwertigen Vernetzung der Elemente abgewichen wird und damit manche Elemente und Beziehungen bevorzugt werden. Die Spezifik von Menschen und Kulturen ergibt sich gerade aus solchen Beschränkungen gleichgewichtiger Oszillation, aus Unterbrechungen und Bevorzugungen, kurz: aus Fixierungen von Rangunterschieden.

Welchen strategischen Sinn könnte dann aber die Rede von der multimedialen Gestaltung einer Kultur machen? Bleibt man beim gängigen (elektro)technischen Multimediakonzept, so ist der Sinn klar: Es geht darum, digitale elektronische Medien als Integrationsplattform anzupreisen. So wie in der Neuzeit alle kulturell relevanten Informationen so versprachlicht werden mussten, dass sie sich in gedruckten Büchern speichern und verbreiten ließen, so wird nunmehr zur Transformation der Daten, der Musik, der Bilder der Um- und Innenwelt, von Gedanken, Texten usw. in den digitalen Code und die elektronischen Medien aufgerufen. Das bedeutet Prämierung und eine Änderung der Hierarchie der Medien.

Eine Änderung des Selbstverständnisses der Kultur geht damit freilich nicht einher. Es findet lediglich eine Substitution der typographischen durch die elektronischen Medien statt. Nicht einmal die Rücksicht auf andere Medien, etwa im Sinne des Artenschutzes, noch gar die Einsicht in die faktische wechselseitige Abhängigkeit der Medien wird bei diesem Konzept gefördert. Wohl gemerkt: Das kulturelle Ökosystem verändert sich radikal. Wenig bleibt am alten Platz. Veränderung ist da. Aber eben kein neuer Typus von Veränderung. Ökologisches Denken wird in diesem Ansatz kaum mehr gebraucht als im Industriezeitalter.

Das ökologische Konzept von Multimedialität sieht anders aus. Es stellt kein einzelnes Medium, sondern die Balance zwischen ihnen in den Vordergrund. Es geht darum, möglichst viele Vernetzungswege 'offen' zu halten, nicht zu viele Verbindungen auszuschließen. Prämiert werden soll weniger die Übersetzung von Informationen in einen einzelnen Medientyp als vielmehr das beständige Überprüfen geeigneter Präsentationsformen. Natürlich wird es auch in diesem Fall zu Hierarchisierungen kommen, aber sie erfolgen funktional und können leichter wieder zurückgefahren werden. Sie gelten nur 'bis auf weiteres' in begrenzten Bereichen des kulturellen Netzwerkes und besitzen kein langfristiges kulturelles Privileg. Wie bei den Ameisenstraßen werden sich andere Wege herausbilden, sobald die Ressourcen erschöpft sind, die zu ihrer Entstehung geführt haben.

Will man das ökologische Konzept der Multimedialität konkreter ausführen, so sollte man sich eher an Netzwerken, denn an Systemen und an einzelnen Medientypen orientieren. Die Diskussion um dieses oder jenes einzelne Medium verdrängt allzu leicht die Sensibilität für deren Zusammenwirken. Am unfruchtbarsten sind Argumentationen um eine Rangfolge der Medien an sich und überhaupt, d. h. losgelöst von bestimmten Funktionen, die sie in der kulturellen Informationsverarbeitung ausüben.

Um den ökologischen Blick auf multimediale Vernetzungen zu schärfen, empfiehlt es sich, beim Gespräch, 'face-to-face', und zwar beim Gruppengespräch anzusetzen. Weit besser als in technisierten und interaktionsarmen Kommunikationssystemen lässt sich hier das Mit- und Gegeneinander der leiblichen und technischen Medien auf den zahlreichen unterschiedlichen Emergenzniveaus beobachten. Je größer die Gruppen sind, desto mehr ähneln sie Netzwerken, in denen sich mal jene, mal andere Kommunikationsbeziehungen zu Systemen zusammenfügen    vgl. a. die Fließtexte: 'Cultural Vision 3D auf die Kommunikationskultur' und 'Cultural Vision und ökologische Dialogkultur'.

Fliesstext: Cultural vision 3D auf die Kommunikationskultur                    Fliesstext: Cultural vision und ökologische Dialogkultur                    Fliesstext: Die Informationsgesellschaft als multimediales Ökosystem                    Fliesstext: Von den Leitmedien und den Monomythen zur Multimedialität und den Polymythen