Theoriefaden Mythen

 

 
Die Bedingung der Möglichkeit sowie die Notwendigkeit von Mystifizierung und Entmystifizierung liegt in der Polyvalenz (Mehrdeutigkeit, Überkomplexität) der Phänomene (vgl. Odo Marquard: Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie. In: Ders. (Hg.) Abschied vom Prinzipiellen. Stuttgart, 1981, S. 91-116, hier S. 98).
Jede Beschreibung, pragmatische Nutzung, technische Funktionalisierung und natürlich auch jede kulturelle Bewertung der Phänomene führt zur Verminderung der Ambivalenzen. Faktisch findet immer eine Abwertung einer und eine Aufwertung anderer Seiten statt. Diesen Vorgang kann man - je nach dem Einstieg in den Zirkel - als 'Mystifizierung' oder als 'Entmystifizierung' begreifen.
F.A.Q.: Entmystifizierung der Buchkultur - was soll das heißen?


Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive sollte man von 'Mythen' erst dann sprechen, wenn die Ab- und Aufwertung als kollektive Leistungen erfolgen, wenn die Mythen für die betreffende Kultur orientierungsrelevant und handlungsleitend geworden sind. Sie stellen dann auch 'soziale Fakten' im Sinne Emile Durkheims dar.
Aus kommunikationstheoretischer Sicht haben die Objekte drei Dimensionen, die mehr oder weniger stark fokussiert werden. Mystifizierend wäre vor diesem Hintergrund beispielsweise ein Begriff von Kommunikation als Vernetzung - wo dann Spiegelungs- und Informationsverarbeitungsaspekte in den Hintergrund träten. Viele Globalisierungsdiskurse beteiligen sich an dieser Form von Mystifizierung. Im Sinne der Entmystifizierung kann man darauf bestehen, dass die Informationen der Medien verarbeitet werden müssen - und zwar auch nach gemeinsamen Programmen, damit Kooperation und Verständigung entsteht.
Andererseits trüge man der Polyvalenz keine Rechnung, wenn man die Chancen der Vernetzung als bloße Ideologie abtäte. Kommunikative Prozesse vollziehen sich eben auch als Vernetzung.

Diese kommunikationswissenschaftliche Konzeption von 'Mythen' zwingt dazu, Widersprüche auszuhalten und gegensätzliche Informationen in der Schwebe zu halten. Insofern unterscheidet sie sich von konstruktivistischen und dekonstruktivistischen Ansätzen, in denen gegensätzliche Bedeutungszuschreibungen nacheinander erfolgen. Jede 'konstruktive' Mystifizierung ist zugleich 'Dekonstruktion' anderer Mythen.

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